Süddeutsche Zeitung

Armenien und die Türkei:Historisches Abkommen unterzeichnet

Versuch einer Aussöhnung nach Jahrzehnten des Konflikts: Die Nachbarländer Armenien und Türkei wollen ihre Beziehung normalisiert.

Die Türkei und Armenien wollen sich auf diplomatischen Wege annähern. Die Außenminister beider Staaten unterzeichneten am Samstag in Zürich ein von Beobachtern als historisch bewertetes Abkommen, das unter anderem die Öffnung der gemeinsamen Grenze vorsieht.

Wegen einer Uneinigkeit über die Wortwahl in ihren Schlusserklärungen drohte die Unterzeichnung noch in letzter Minute zu scheitern. US-Außenministerin Hillary Clinton, die wie ihre Kollegen aus Russland, Frankreich und der EU zu der Unterzeichnungszeremonie in die Schweiz gereist waren, gelang es aber, den Streit zu schlichten.

Das von der Schweiz vermittelte Dokument ruft zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und zur Öffnung der seit 16 Jahren geschlossenen Grenzen binnen zwei Monaten auf. Außerdem wird die Grundlage für weitere Gespräche gelegt.

"Historische Entscheidung"

Die Wurzeln des Konflikts werden dagegen lediglich angedeutet: In der Endphase des Ersten Weltkriegs wurden zahllose Armenier im damaligen Osmanischen Reich vertrieben und getötet. Die Bewertung der damaligen Ereignisse war immer wieder Anlass für diplomatische Spannungen. Nach armenischer Darstellung verloren 1,5 Millionen Menschen ihr Leben im ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, die Türkei spricht von Kriegswirren und geht von weniger Toten aus.

Streitpunkt ist außerdem die Zukunft der hauptsächlich von Armeniern bewohnten Region Berg-Karabach in Aserbaidschan.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nannte die Unterzeichnung in Zürich eine "historische Entscheidung", wie seine Sprecherin Michele Montas in New York erklärte. Der armenische Präsident Serge Sarkisian sprach von einer "verantwortungsbewussten Entscheidung", die Beziehungen zur Türkei trotz des Genozids zu normalisieren. Bei Nationalisten in beiden Staaten stieß das Abkommen dagegen auf Ablehnung.

Yilmaz Ates von der oppositionellen türkischen Volkspartei kritisierte Zugeständnisse an die Regierung in Eriwan. Sollte der Nachbarstaat an einer Verbesserungen der Beziehungen interessiert sein, müsse er "die Besatzung von Berg-Karabach beenden".

In der armenischen Hauptstadt hatten bereits am Freitag rund 10.000 Menschen gegen die geplante Unterzeichnung protestiert. Einige Demonstranten trugen Plakate mit Slogans wie "Keine Zugeständnisse an die Türkei" und "Kein Handel über den Genozid". Nach der Unterzeichnung werde gegen die Ratifizierung und Umsetzung der Vereinbarung mit Ankara gekämpft, sagte der Oppositionspolitiker und Organisator der Proteste Kiro Manoian.

In dem Abkommen heißt es unter anderem, ein Gremium solle Unterlagen über die geschichtlichen Ereignisse prüfen, aktuelle Probleme definieren und diesbezüglich Empfehlungen ausarbeiten. Diese Klausel gilt als Zugeständnis an die Türkei: Nach armenischer Auffassung haben internationale Historiker einen Völkermord im Ersten Weltkrieg bestätigt.

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