Nach der Völkermord-Resolution des Bundestags hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinen Ton gegenüber Deutschland nochmals verschärft. Deutschland sei "das letzte Land", das über einen "sogenannten Völkermord" der Türkei abstimmen solle, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Sonntagabend in Istanbul. Zunächst solle Deutschland Rechenschaft über den Holocaust und über die Vernichtung von mehr als 100 000 Herero in Südwestafrika Anfang des 20. Jahrhunderts ablegen.
Bereits am Samstagabend hatte Erdoğan harte Kritik an der Einstufung der Massaker an den Armeniern als Völkermord geübt. Dabei hatte er besonders die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten angegriffen, die für die Resolution gestimmt hatten. Ihnen warf er nach Angaben von Anadolu vor, der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK als verlängerter Arm zu dienen.
Armenien-Resolution:"Uns Deutschtürken wird jetzt ein Stempel auf die Stirn gedrückt"
Der Bundestag entscheidet darüber, ob die Massaker an Armeniern als Völkermord zu bezeichnen sind. Es ist eine Abstimmung, die Türkeistämmige in Deutschland aufwühlt.
"Es ist sowieso bekannt, wessen Sprachrohr sie sind", sagte Erdoğan. "Von der separatistischen Terrororganisation in diesem Land sind sie die Verlängerung in Deutschland." Am Sonntagabend legte das türkische Staatsoberhaupt noch einmal nach und forderte Bluttests für die Bundestagsabgeordneten. "Manche sagen, das seien Türken", sagte er in Istanbul. "Was denn für Türken bitte?" Das Blut der Abgeordneten müsse "durch einen Labortest untersucht werden".
Der Oberbürgermeister der türkischen Hauptstadt Ankara verschickte über Twitter ein Bild mit allen türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten. Es wird tausendfach geteilt und, so die ARD-"Tagesschau", mit unmissverständlichen Morddrohungen versehen.
Türkischstämmige Abgeordnete sehen sich bedroht
Der grüne Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu sprach von einer neuen Qualität der Bedrohung - "zumal irgendwelche durchgeknallten Verrückten das sich anhören und denken, die Obrigkeit hat befohlen. So sind viele Menschen in der Türkei zu Tode gekommen", sagte er am Sonntag der "Tagesschau".
Integrationsstaatsministerin Aydan Özoğuz (SPD), die ebenfalls ins Visier türkischer Kritiker geraten war, warb für Verständnis: "In Deutschland nehmen wir, glaube ich, zu wenig wahr, was dort eigentlich weit über extremistische Kreise hinaus gedacht und gefühlt wird - dass das nämlich wirklich eine echte Enttäuschung gerade darstellt."
Grünen-Chef Cem Özdemir hatte der Welt am Sonntag von Bedrohungen von türkischer Seite gegen ihn berichtet. "Es gibt leider auch eine türkische Pegida", sagte der Politiker der Zeitung zur Notwendigkeit der Schutzmaßnahmen. "Rechtsradikalismus ist kein deutsches Privileg. Das gibt es leider auch in der Türkei und unter Deutschtürken."
Die Berliner Polizei hat dem Bericht zufolge ihre Präsenz in der Umgebung von Özdemirs Wohnung erhöht. Özdemir hatte sich wiederholt kritisch zum Kurs der Türkei unter Präsident Erdoğan geäußert. Er war einer der Initiatoren der am Donnerstag vom Bundestag beschlossenen Resolution, in der die Massaker und Deportationen von Armeniern im Osmanischen Reich 1915 als Völkermord eingestuft werden.