Süddeutsche Zeitung

Arktis:Kalte Krieger

Bei einer Konferenz im norwegischen Tromsø wird klar: Die Militarisierung der Arktis ist im Gange.

Von Silke Bigalke, Tromsø

Ausgerechnet der Mann aus Estland sorgt in Tromsø für die Lacher. Immer im Januar diskutieren dort Politiker und Wissenschaftler über die Zukunft der Arktis. Estland ist kein arktischer Staat. Trotzdem ist es Urmas Paet, früherer estnischer Außenminister, der ein Thema auf die Bühne bringt, das bei dem Treffen in Norwegen lange gemieden wurde: die Militarisierung der Arktis. Die müsste man dringend verhindern, sagt er. Unglücklicherweise habe Russland längst damit begonnen.

Dann zählt er die Brigaden, U-Boote, Eis-brecher und Tiefseehäfen auf, die im russischen Teil der Arktis stationiert und wieder in Betrieb genommen wurden. Urmas Paet sitzt im Europaparlament und plädiert für eine europäische Sicherheitspolitik in der Arktis. Dort hat man stets die friedliche Zusammenarbeit der Anrainerstaaten betont. "Infizieren Sie jetzt die Arktis mit dem bösen Blut, das eigentlich in die Ostsee gehört?", fragt der Moderator den Esten ironisch. Er möge diese Mentalität doch bitte im Baltikum lassen. Viele Zuhörer lachen erleichtert. Falscher Alarm?

Es ist kein Geheimnis, dass die Balten ein schwierigeres Verhältnis zu Russland haben als die Skandinavier. Schließlich habe sie ihre Freiheit schon einmal an den großen Nachbarn verloren, fühlen sich durch russische Militärübungen provoziert. Tatsächlich ist die Lage rund um die Ostsee angespannter als in der Arktis, das empfinden auch die nordischen Länder so. Die Frage ist: Gibt es eine Verbindung zwischen Barentssee und Baltischer See?

Norwegens Außenministerin warnt, Ostsee-Konflikte könnten in die Arktis exportiert werden

Ja, sagt die norwegische Außenministerin Ine Marie Eriksen Søreide, es gebe ein steigendes Risiko, dass ein Konflikt im Ostseeraum beginne und dann in den Norden exportiert werde. "Wir haben derzeit die größte Konzentration militärischer Macht genau vor unserer Tür", sagt sie beim "Arctic Frontiers"-Treffen in Tromsø und meint die Kola-Halbinsel in Skandinaviens Nachbarschaft. Moskau werde seine militärischen Anlagen dort schützen, falls etwas passiere. "Das ist die Verbindung." Der Este Urmas Paet geht noch weiter: "Wenn das hier eine so friedliche Familie in der Arktis ist, warum hat Russland dann Milliarden in militärische Mittel investiert?", fragt er und hat zwei Antworten: Um seinen Zugang zu Ressourcen zu sichern und weil sich die angespannten Atmosphäre zwischen Osten und Westen eben doch auf die Arktis übertrage.

Die Kola-Halbinsel ist strategisch wichtig für Russland, es hat in Murmansk seinen einzigen eisfreien Hafen. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion war die Region hochgerüstet, danach fehlte das Geld. Nun kommt das Militär zurück in die Region. "Kriege beginnen niemals in der Arktis", sagt der Däne Rasmus Gjedssø Bertelsen, Professor für internationale Politik in Tromsø. Doch wenn die Sicherheit in Europa zusammenbrach, blieb der Norden nie verschont. Im Zweiten Weltkrieg ist an der russischen Grenze zu Norwegen und zu Finnland viel Blut vergossen worden.

Nun rüstet auch Oslo wieder auf, hat unter anderem neue Kampfflugzeuge bestellt und US-Soldaten dauerhaft nach Norwegen eingeladen. Eriksen Søreide spricht von der norwegischen Arktis als "Nordflanke der Nato". Von der Grenze ins russische Murmansk, wo die Atom-U-Boote liegen, sind es mit dem Auto knapp drei Stunden. Trotzdem weiß die Ministerin, dass es in der Arktis wie an kaum einem anderen Ort auf Kooperation ankommt. "Es ist eine stabile Region, weil wir dafür arbeiten", sagt sie. "Und es ist wirklich harte Arbeit."

Großen Anteil daran haben die vier Millionen Menschen, die in der Arktis leben. Die Norweger in Kirkenes sind den Russen in Murmansk oft näher als ihren eigenen Leuten in Oslo. Auch sie treffen sich in Tromsø, 14 Bürgermeister aus acht Ländern, um sich ihrer Freundschaft zu versichern. In der Arktis sollte man Türen nicht verschließen, sagt der Bürgermeister aus dem russischen Archangelsk, so dass jeder im Notfall schnell rein ins Warme könne.

Der zweite Friedensstifter ist der Arktische Rat. Dort treffen sich die Anrainerstaaten, um über Ressourcen, Umweltschutz, Forschung und Rettungseinsätze zu sprechen, über Aufgaben, die sie nur gemeinsam stemmen können. Der Arktische Rat gilt als das Gremium, in dem Vertreter aus den USA, Europa und Russland auch dann noch miteinander reden können, wenn das woanders unmöglich geworden ist. Vergangene Woche ist er für den Friedensnobelpreis nominiert worden.

Längst interessieren sich auch Staaten für die Arktis, die weit entfernt vom Polarkreis liegen. Ein Grund dafür ist die Erderwärmung, die das Eis schmelzen lässt, Fischschwärme verwirrt und Methangas freisetzt. Der zweite Grund ist die veränderte Sicherheitslage. Das schmelzende Eis gibt Handelsrouten, Erdöl und andere Bodenschätze frei. "Russland hat die Arktis für lange Zeit verlassen, und jetzt ist es zurück, auch wegen wirtschaftlicher Anreize", sagt Schwedens Wirtschaftsminister Mikael Damberg.

In der Arktis wird längst spürbar, dass die Staaten oft stärker auf nationale Interessen als auf gemeinsame Verantwortung achten, etwa wenn Donald Trump Ölbohrungen in Alaska erlaubt. Über dessen Arktis-Politik wagt in Tromsø niemand zu spekulieren. Auch nicht darüber, wie weit Wladimir Putin bereit ist, im Norden noch zu gehen. Weder die USA noch Russland haben Vertreter geschickt, um über nationale Politik zu reden. Irgendwann steht ein Mitarbeiter aus dem russischen Außenministerium auf, der als Zuhörer gekommen ist: Russland sei nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung, sagt er. "Ich bin absolut erleichtert, vielen Dank", kommentiert der Este Urmas Paet sarkastisch. Und wieder lachen alle.

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SZ vom 26.01.2018
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