Argentinien:Sieg für die grüne Welle

Argentinien: Am Ziel: Befürworterinnen des Gesetzes zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bejubeln die Entscheidung im argentinischen Senat.

Am Ziel: Befürworterinnen des Gesetzes zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bejubeln die Entscheidung im argentinischen Senat.

(Foto: Ronaldo Schemidt/AFP)

Buenos Aires legalisiert Schwangerschaftsabbrüche. Ausgerechnet die Heimat des Papstes wird so zu einem Vorreiter für ein liberales Abtreibungsrecht in ganz Lateinamerika.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Argentinien hat als erstes großes Land in Lateinamerika Schwangerschaftsabbrüche legalisiert. Die Entscheidung könnte Symbolcharakter haben in einer Region, in der ansonsten Abtreibungen meist nur in Ausnahmen straffrei und in einigen Ländern sogar ganz verboten sind. Das neue Gesetz ist dazu vor allem auch ein Sieg für die Frauenbewegung, die in Argentinien seit Jahren für eine Legalisierung gekämpft hat.

Nach einer langen und teils emotionalen Debatte stimmte der Senat in der Hauptstadt Buenos Aires am frühen Mittwochmorgen mit einer überraschend großen Mehrheit von 38 zu 29 Stimmen für den neuen Gesetzesentwurf. Er erlaubt Schwangerschaftsabbrüche bis zur 14. Woche, danach bleiben sie in Ausnahmefällen straffrei. Abtreibungen können dazu kostenlos in öffentlichen Kliniken vorgenommen werden.

Nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses brach vor dem Kongressgebäude Jubel aus. Tausende meist junge Frauen hatten sich hier schon am frühen Nachmittag versammelt, um in drückender Hitze für den Gesetzesentwurf zur Legalisierung zu demonstrieren.

Viele Demonstrantinnen hatten sich die Gesichter mit Glitzer geschminkt und um den Kopf, Handgelenk oder Rucksackträger hatten sie sich das grüne Halstuch gebunden, das heute in Argentinien zum Symbol für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche geworden ist, genauso wie es in ganz Lateinamerika mittlerweile für eine neue feministische Bewegung steht. Von einer marea verde, einer grünen Welle, ist darum immer wieder die Rede.

"Wir sind heute ein besseres Land geworden", sagt der Präsident

Die Region ist immer noch von Machokultur und Gewalt gegen Frauen geprägt. Der Einfluss der Konservativen und der Kirchen ist gleichzeitig immer noch groß, genauso wie der Widerstand gegen liberalere Abtreibungsregelungen. So gab es auch in Argentinien schon in der Vergangenheit immer wieder Initiativen, mit denen Schwangerschaftsabbrüche legalisiert werden sollten. Der letzte Vorstoß scheiterte aber 2018 knapp im argentinischen Senat.

Anders als damals hatte das nun verabschiedete neue Abtreibungsgesetz aber die Unterstützung der linksperonistischen Regierung. Sie hat im Dezember 2019 ihr Amt angetreten, Präsident Alberto Fernández hat seitdem mit einem gigantischen Schuldenberg zu kämpfen, und im März kam zu den finanziellen Problemen auch noch der Covid-19-Erreger. Das Virus hat schwer gewütet in dem Land, trotz eines strikten und langen Lockdowns. Die Wirtschaft liegt am Boden, fast die Hälfte der Menschen leben unter der Armutsgrenze.

Dennoch hat die Regierung stets weiter an Themen wie Inklusion, Gleichberechtigung und Gewaltprävention gearbeitet. Bei der Besetzung öffentlicher Stellen gibt es heute in Argentinien eine Transgender-Quote, die Regierung fördert genderneutrale Sprache und der Präsident achtet in Besprechungen darauf, dass die Anwesenden nicht nur heterosexuelle Männer sind.

Eines der größten Versprechen der argentinischen Regierung aus dem Wahlkampf war aber die Legalisierung von Abtreibungen. Ein Jahr nach Amtsantritt hat sie dieses nun verwirklicht. "Wir sind heute eine besseres Land geworden", sagte Präsident Fernández nach der Abstimmung.

Auch die Abtreibungsgegner demonstrierten vor dem Kongress

Für die Regierung ist das neue Gesetz ein großer Erfolg. Für die Opposition dagegen eine unnötige Provokation in ohnehin schon schweren Zeiten. Die argentinische Gesellschaft ist tief gespalten in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche, immer wieder hatte es auch große Demonstrationen der Abtreibungsgegner gegeben. Auch sie hatten sich vor der Abstimmung vor dem Kongressgebäude versammelt.

Der Platz war durch einen großen Graben mit Absperrungen und Polizisten in zwei Teile getrennt, auf der einen Seite die Befürworter des neuen Gesetzes, auf der anderen Seite seine Gegner, darunter viele christliche Gruppen, die Freiluftmessen abhielten und mit Rosenkränzen in der Hand für ein Scheitern des Gesetzes beteten.

Auch Papst Franziskus - selbst Argentinier - hatte sich kurz vor der Abstimmung noch in die Diskussion eingeschaltet. "Der Sohn Gottes wurde als Ausgeschlossener geboren, um uns zu sagen, dass jeder ausgeschlossene Mensch ein Kind Gottes ist", schrieb der Papst am Dienstag auf Twitter.

Abtreibungsbefürworter hoffen nun, dass die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Argentinien auch in anderen Ländern Lateinamerikas zu ähnlichen Gesetzesänderungen führen könnte. In Brasilien, Chile und Kolumbien gibt es vergleichbare Bestrebungen. Jedes Jahr müssen Tausende Frauen wegen missglückter illegaler Eingriffe in Krankenhäuser gebracht werden, immer wieder gibt es Tote. Gleichzeitig sitzen in Ländern wie El Salvador auch immer noch Frauen teils seit Jahren in Gefängnissen, weil ihnen vorgeworfen wird, ihre Schwangerschaften absichtlich abgebrochen zu haben.

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