Argentinien:"Macri will ein südamerikanischer Trump sein"

Argentinien: Grenzkontrollen und Polizeiaktionen gegen Bolivianer auf den Straßen: Argentiniens Präsident Mauricio Macri verschärft seine Einwanderungspolitik.

Grenzkontrollen und Polizeiaktionen gegen Bolivianer auf den Straßen: Argentiniens Präsident Mauricio Macri verschärft seine Einwanderungspolitik.

(Foto: AP)

Argentiniens Präsident setzt auf Abschottung und Abschiebung. Einwanderer, Menschenrechtler und die katholische Kirche sind entsetzt.

Von Boris Herrmann, Buenos Aires

Teodoro, ein buckeliger Mann von 50 Jahren, der seinen Nachnamen nicht nennen will, ist vor zwei Monaten nach Argentinien gekommen. Die Busfahrt aus Bolivien dauerte dreieinhalb Tage. In Liniers, einem Migrantenviertel am Rand von Buenos Aires, verkauft er jetzt Hosen und Socken, die er auf einem Teppich am Straßenrand ausgebreitet hat. Das Geld reicht kaum, um in dieser teuren Stadt über die Runden zu kommen. Teodoro aber sagt sich: "Besser als nichts."

In seiner Heimatstadt Potosí hatte er zwei Jahrzehnte lang in Bergwerken geschuftet. Bis seine Lunge kaputt war, Tuberkulose. Seit seiner krankheitsbedingten Kündigung war er arbeitslos. Zum Jahreswechsel nahm er sich vor, ein neues Leben zu beginnen. In Argentinien, das einmal das Land seiner Träume war: offen, freundlich zu jedem, das Zentrum der sogenannten "Patria Grande", der imaginären Nation aller Latinos. Seit seiner Ankunft in Buenos Aires hat Teodoro festgestellt: "Dieses Große Vaterland existiert nicht mehr."

Viele haben das Gefühl: Der Staatspräsident will ein südamerikanischer Trump sein

Argentinien blickt auf eine stolze Tradition als Einwanderungsrepublik zurück. Der Spruch "regieren heißt besiedeln" wurde im 19. Jahrhundert in die Verfassung geschrieben und galt lange als Leitmotiv der Migrationspolitik. Dahinter steckte die Idee, dass Fremde dringend gebraucht werden, um das riesige Staatsgebiet zu kultivieren. Die Anwerbepolitik richtete sich vor allem an Europa, aber auch aus allen Winkeln Lateinamerikas kamen Einwanderer nach Argentinien. Heute leben dort rund zwei Millionen Bolivianer.

Auch der seit gut einem Jahr regierende Präsident Mauricio Macri, Sohn eines italienischen Einwanderers, wird die Grenzen nicht ganz schließen. Trotzdem ist es für viele ein Schock, dass seine Regierung nun eine Verschärfung der Einwanderungsregeln verordnete. Nicht nur Teodoro hat das dumme Gefühl: "Macri will ein südamerikanischer Trump sein."

Angeblich geht es bei dem Dekret darum, gegen Kriminalität und Drogenhandel vorzugehen. Ausländische Straftäter sollen deshalb schneller abgeschoben oder am besten gar nicht mehr ins Land gelassen werden. Macris Ministerin für Sicherheit, Patricia Bullrich, erklärte, es sei dringend notwendig, die "Beziehungen zu Paraguay, Bolivien und Peru neu zu ordnen", denn ein Drittel der Drogendealer in Argentinien stamme aus diesen Ländern. Legale Einwanderer wie Teodoro fühlen sich deshalb als Kriminelle stigmatisiert. Flüchtlingsverbände, Menschenrechtler und die katholische Kirche zeigten sich entsetzt über Macris Vorstoß. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte hat deshalb für kommende Woche eine Sondersitzung einberufen. Boliviens Präsident Evo Morales warnte seine "lateinamerikanischen Brüder" davor, die Migrationspolitik Nordamerikas zu imitieren. Der Streit kochte so hoch, dass Bullrich das Gerücht dementieren musste, ihre Regierung wolle eine Mauer an der Grenze zu Bolivien bauen: Wer sich nichts zu Schulden kommen lasse, sei weiterhin herzlich willkommen, so die Ministerin.

Auf dem Straßenmarkt von Liniers traut man dieser Erklärung nicht. Teodoro und all jene, die vor ihm kamen, haben hier ein Klein-Bolivien errichtet. Es gibt bolivianische Schneider, Zahnärzte, Friseure und bolivianische Restaurants, die "La Paz" oder "Copacabana" heißen. Und alles wissen, dass damit nicht der Strand in Rio gemeint ist, sondern der Wallfahrtsort am Titicacasee. Die Bürgersteige sind nahezu unpassierbar, weil dort die gesündesten Körner und seltensten Wurzeln aus dem Altiplano angeboten werden. Irgendwo dazwischen, hinter einer bunten Pappkiste, sitzt der Wahrsager Don Vicente, der die Zukunft der Passanten aus seinen Kokablättern herausliest. Aber auch der beste bolivianische Hellseher weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll mit den Straßenhändlern von Liniers. Die Polizei hat bereits angekündigt, dass sie in Kürze verschwinden müssen. Es heißt, sie hinterließen zu viel Dreck und zahlten keine Steuern. Die Regierung will sie weghaben. Im Zentrum von Buenos Aires wurde ein ähnlicher Markt bereits geräumt.

Ist es nur ein seltsamer Zufall, dass beides jetzt geballt kommt, das Dekret für die Grenzkontrollen und die Polizeiaktionen in den Straßen? Vermutlich nicht, meinen Macris Kritiker, von denen es genug gibt. Der mit großem Vertrauensvorschuss gestartete Präsident hat mit seinem Reformprogramm bislang enttäuscht. Laut einer aktuellen Studie sind seit seiner Amtsübernahme im Dezember 2015 rund 1,5 Millionen Argentinier in die Armut abgerutscht. Die Inflation wächst deutlich schneller als die Löhne, ganz zu schweigen von der Arbeitslosigkeit. Zehntausende gingen deshalb vergangene Woche gegen eine Politik auf die Straße, die vor allem internationalen Finanzinvestoren gefällt. Lehrer boykottieren den Schulunterricht. Die Gewerkschaften drohen mit einem Generalstreik. Was liegt da näher, als der Versuch, das Volk zu einen mit der Konstruktion eines äußeren Feindbildes? Wie so oft, und wie derzeit in den USA, ist es auch hier: der angeblich kriminelle Ausländer.

Mauricio Macri mag weit entfernt sein von der offen zur Schau getragenen Menschenverachtung Donald Trumps, trotzdem gibt es eine weitere Parallele zu dessen Einwanderungsdekreten. Auch in Argentinien ist die Umsetzung juristisch höchst umstritten. Die Generalstaatsanwältin Alejandra Gils Carbó hält Macris Notstandsdekret für verfassungswidrig. Weder gebe es einen dafür zwingend erforderlichen Notstand noch einen Zusammenhang zwischen Verbrechen und Migration, teilte sie mit. Sicherheitsministerin Bullrich wiederum hält das für eine unzulässige Einmischung der Justiz in die Politik. Es gehe um die dringend notwendige Bekämpfung des organisierten Verbrechens.

Der bolivianische Kleinhändler Teodoro aber fragt sich, wer ihm jetzt garantiere, dass er nicht als Verbrecher abgeschoben werde, wenn er sich zum Beispiel an einer Straßenblockade gegen die Räumung des Andenmarktes von Liniers beteilige. Er findet: "Gerade weil es Trump gibt, müssten wir Südamerikaner doch eigentlich zusammenhalten."

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