Als Manfred Zeller, Mitarbeiter der Forschungsstelle Osteuropa Bremen, vor mehreren Jahren begann, sowjetische Archive nach Zeugnissen über die Fankultur im Vielvölkerstaat UdSSR zu durchforsten, war nicht abzusehen, dass er damit auch einen Beitrag zur Analyse des heutigen blutigen Konflikts zwischen Russen und Ukrainern liefern würde. Zeller hat in den Mittelpunkt seiner Untersuchung nämlich die großen Moskauer Clubs Dinamo, Spartak und Torpedo sowie deren Rivalen Dinamo Kiew gestellt. Während die streng zensierte Sowjetpresse das Bild einer harmonischen Fußballwelt zeichnete, ist in nie veröffentlichten Briefen an Sportzeitschriften sowie in den Berichten der Sicherheitsorgane von Gewalt in den Stadien die Rede. Oft waren die Ausschreitungen Ausdruck der Gegensätze zwischen den einzelnen Völkern der Sowjetunion.
So wurde wiederholt bei Partien zwischen den Moskauer Clubs und den Kiewern das Spielfeld gestürmt. Während der Perestroika in den Achtzigerjahren kam es sogar zu Straßenschlachten zwischen russischen und ukrainischen Fans. Die Konfrontationen verliefen dabei keineswegs an der Sprachengrenze zwischen den beiden ostslawischen Sprachen. Denn Kiew war stets überwiegend russischsprachig. Auch die Fans von Schachtar Donezk im russischsprachigen Industriegebiet Donbass positionierten sich gegenüber den Moskowitern als Club aus der Ukraine.
Nationale Gegensätze im Fußball erreichten in der Stalinzeit sogar die politische Führungsspitze. 1939 ließ der aus Georgien stammende gefürchtete Geheimdienstchef Lawrenti Beria das Halbfinale im Pokal wiederholen, weil darin sein Lieblingsverein Dinamo Tbilissi gegen Spartak Moskau unterlegen war. Es nützte nichts, auch das zweite Mal verloren die Georgier, die von Moskauer Fans als "Schwarzärsche" verhöhnt wurden, das bis heute geläufige Schimpfwort für die Einwohner der ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und in Mittelasien. Mit den zunehmenden Fernsehübertragungen internationaler Partien änderte sich das Auftreten der sowjetischen Fans: Auch bei ihnen kamen Vereinsschals in Mode. Doch angesichts der zunehmenden Gewalt in den Stadien wurde Anfang der Achtzigerjahre die Kennzeichnung von Fans verboten, Polizisten konfiszierten an den Stadioneingängen Schals und Fahnen. Genützt hat es wenig, die junge Generation der Fans entglitt vielmehr der Kontrolle durch die Partei.
All diese Episoden aus der Geschichte der Sowjetunion mit ihren inneren Verwerfungen hat Zeller anekdotenreich und überaus lebendig aufgeschrieben, verquickt mit einer kenntnisreichen Darstellung der sowjetischen Innen- und Nationalitätenpolitik. Ein überaus gelungener historischer Rückblick, der viele Antworten auf Fragen der Gegenwart liefert.