Süddeutsche Zeitung

Arbeitsschutz:Viel zu wenig Kontrollen

In manchen Bundesländern werden die Arbeitsbedingungen im Schnitt nur alle 100 Jahre geprüft. Sogar die von Arbeitsminister Heil eingeführte Mindestquote könnte scheitern.

Von Daniel Drepper, Hamburg

Arbeitsschutzkontrollen werden in Deutschland schon seit vielen Jahren immer seltener. Etliche Firmen bekommen zwei, drei, teilweise vier Generationen lang keinen einzigen Besuch von ihrer Arbeitsschutzbehörde - in manchen Bundesländern werden die Arbeitsbedingungen im Schnitt nur alle 100 Jahre geprüft. Das will die Bundesregierung ändern: Bis 2026 sollen jedes Jahr fünf Prozent aller Betriebe in Deutschland kontrolliert werden. Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung zeigen jedoch, dass sich bislang wenig bewegt. Die Zahl der Kontrollen bleibt in einigen Bundesländern weiterhin sehr niedrig, eine Reihe von Ländern stellt nur wenige neue Kontrolleure ein, und das Bundesarbeitsministerium will den Fortschritt der Maßnahmen erst in vier Jahren zum ersten Mal überprüfen.

Dabei soll das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz aus dem Hause von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine Art Befreiungsschlag werden. Es war eine Folge der Corona-Pandemie, zu deren Beginn sich rund 2000 osteuropäische Leiharbeiter von Fleischfabrikant Clemens Tönnies mit dem Virus infiziert hatten. Die Arbeitsbedingungen gerieten in den Fokus, eine Mindestbesichtigungsquote gilt als zentraler Lösungsansatz. Bisher liegt die Quote nur knapp über zwei Prozent.

Das hat mehrere Gründe. Neben dem Arbeitsschutz sind die regionalen Behörden zum Beispiel auch für die Überprüfung von Medizinprodukten oder für das Sprengstoffrecht zuständig. In vielen dieser Bereiche wurden in der Vergangenheit Mindestquoten eingeführt. So blieb immer weniger Zeit für Arbeitsschutz-Kontrollen, an denen zudem gespart wurde, um ausgeglichene Haushalte zu erreichen. Der sogenannte SLIC-Report, eine wichtige europäische Prüfung, stellte Deutschland zuletzt 2017 ein schlechtes Zeugnis aus. Demnach gibt es in allen Bundesländern zu wenig Personal, um die internationalen Vorgaben zu erfüllen. In neun Bundesländern werde vor allem reagiert und kaum proaktiv überwacht, insgesamt würden viel zu wenige Unternehmen für ihre Fehler auch bestraft.

Auf Druck von Arbeitsschützern und im Zuge des Tönnies-Skandals schrieb das Bundesarbeitsministerium schließlich eine Quote für die Kontrollen im Arbeitsschutz von fünf Prozent der Betriebe pro Jahr in sein neues Gesetz. Erstmals erfüllt werden soll sie im Jahr 2026. Doch schon jetzt wird deutlich, dass das schwierig wird. Im Jahr 2020 fiel die Zahl der Besichtigungen im Länderschnitt auf 2,4 Prozent.

2021 wurden in Baden-Württemberg 0,8 Prozent der Betriebe besichtigt

Anfragen von SZ, NDR und WDR in allen 16 Bundesländern zeigen nun, dass die Quoten auch im Jahr 2021 zum Teil sehr niedrig geblieben sind. So schreibt etwa Baden-Württemberg, dass es im Jahr 2021 weniger als 0,8 Prozent der Betriebe besichtigt hat - ein Betrieb hat hier also statistisch nur alle 120 Jahre mit einer Kontrolle zu rechnen. In Hessen und Sachsen waren es 1,1 Prozent der Betriebe, in Schleswig-Holstein 1,3 Prozent, in Berlin 2,2 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 2,3 Prozent. Andere Länder wie Bremen oder Sachsen-Anhalt erreichen die Fünf-Prozent-Quote dagegen schon jetzt.

Das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz verpflichtet die Bundesländer, die Zahl der besichtigten Betriebe bis 2026 schrittweise zu erhöhen. Dazu müssen neue Arbeitsschützer eingestellt werden, von denen es aber so gut wie keine auf dem Markt gibt, denn in großen Unternehmen wie BASF oder Siemens lässt sich mehr verdienen als in den Behörden. Anfragen von SZ, NDR und WDR zeigen zudem, dass einige Länder bisher kaum neue Arbeitsschützer ausbilden. So hat Sachsen gar kein eigenes Ausbildungsprogramm, verliert bis 2026 aber mindestens 16 seiner 100 Aufsichtsbeamten in die Rente.

Hessen geht davon aus, dass eine mittlere zweistellige Zahl neuer Beamter gebraucht wird, bildet derzeit aber lediglich elf Personen aus. Den Ländern läuft die Zeit davon, zumal der erwähnte SLIC-Report schon vor fünf Jahren vor einer Überalterung der Arbeitsschützer in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Hamburg gewarnt hatte.

"Es war absehbar, dass die Mindestbesichtigungsquote mehr Ressourcen erfordern wird", schreibt die Pressestelle des gemeinsamen Länderausschusses LASI, in dem die Länder ihre Arbeitsschutz-Themen besprechen und organisieren. "Eine Absenkung der Qualität ist nicht Ziel des Prozesses. Allerdings wird auch zu prüfen sein, ob modifizierte Überwachungskonzepte nicht auch mit weniger Aufwand die gleiche qualitative Wirkung erzielen können." Das Bundesarbeitsministerium schreibt auf Anfrage, die bisherigen Daten der Länder entsprächen "nicht den Standards nach dem Arbeitsschutzkontrollgesetz. Daher lassen sich aktuell keine belastbaren Auswertungen (...) durchführen". Über mögliche Konsequenzen wolle die Bundesregierung erst 2026 entscheiden. Was bis 2026 in den Ländern passiert, wird nicht im Detail geprüft oder zentral gesammelt.

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