Arabischer Frühling:Freiheit im Konjunktiv

Der Rausch der Revolution ist längst verflogen, doch der arabische Raum kommt nicht zur Ruhe. Der heute beginnende Ramadan eint die Aufständischen in den unterschiedlichen Ländern. Doch ob Syrien, Libyen, Ägypten oder Jemen - überall haben die Unruhen längst ihre eigene Dynamik. Im besten Fall bereiten sie den Weg für eine arabische Demokratie des 21. Jahrhunderts.

Sonja Zekri

Die teuersten Dattelsorten zum Ramadan heißen in Ägypten "Revolution" und "25. Januar" - nach dem Beginn des Aufstands gegen Hosni Mubarak. Die billigsten sind "Tora-Gefängnis", dort sitzen Söhne und Entourage des gestürzten Präsidenten. Nach einem halben Jahr des Aufruhrs in Arabien wird der Fastenmonat Ramadan, der am Montag beginnt, eine Zäsur bringen.

A protester waves the Egyptian flags while sitting on top of an electrical pole in Tahrir square in Cairo

Die arabischen Länder kommen nicht zur Ruhe: Auch in Ägypten wird wieder protestiert - ein Demonstrant auf einer Straßenlampe am Kairoer Tahrir-Platz zeigt Flagge.

(Foto: REUTERS)

In Syrien, so schwören die Rebellen, werde der heilige Monat den Freiheitskampf beflügeln. Jeden Tag wollen sich die Menschen erst in den Moscheen und dann zum Protest versammeln: "Jeder Tag wird Freitag sein".In Libyen rechnen die meisten mit einer militärischen Ermattung, wegen der Hitze und des Fastens und wohl auch wegen des Todes von Rebellenkommandeur Abdel Fattah Junis.

Nur kurz hat der Rausch der Revolution überdeckt, wie heterogen der arabische Raum ist. Längst folgen die Aufstände ihrer eigenen Dynamik, sind fragmentiert, regionalisiert. Tunesien und Ägypten ringen mit den Härten des Übergangs, Libyen steht in einem Bürgerkrieg, Syrien und Jemen sind möglicherweise kurz davor.

Der König von Marokko versucht, die Wut des Volkes durch politische Konzessionen zu entschärfen, die Golfmonarchen versuchen es mit Geld. Bruttosozialprodukt und Alphabetisierungsrate, ethnische und konfessionelle Zusammensetzung, die Legitimität der Herrscher und die Rolle der Säkularen - kein Land gleicht dem anderen.

Aber nun, im Ramadan, eint sie alle dasselbe Gefühl, der Islam bleibt die Säule der arabischen Identität. Es ist auch, aber nicht nur diese Sonderstellung der Religion, die alle Vergleiche der arabischen Aufstände mit dem Ende der Sowjetunion so unergiebig macht. Polen und das Baltikum strebten nach dem Fall des Eisernen Vorhanges zurück in eine Wertegemeinschaft, von der sie der Kalte Krieg künstlich abgeschnitten hatte.

Europa ist das Modell für die Revolutionen in der Ukraine und Georgien. Einem arabischen Staat aber wird Brüssel keine Beitrittsperspektive eröffnen. Für Länder wie Bahrain oder Jemen entfällt der politische und kulturelle Anschluss. Aber auf dem Tahrir-Platz in Kairo oder im syrischen Hama geht es ohnehin um anderes.

Wegbereiter einer arabischen Demokratie

In den Forderungen mischen sich westlicher Menschenrechtsdiskurs, Rufe nach Freiheit und Mitbestimmung, nach einem Ende von Korruption und Tyrannei mit islamischen Schlüsselbegriffen wie Würde und soziale Gerechtigkeit. Nicht umsonst verlaufen die Erhebungen weitgehend abgekoppelt vom Zugriff des Westens. Die Rebellen wollen nicht nur den Systemwechsel. Im besten Fall bereiten sie den Weg für eine arabische Demokratie des 21. Jahrhunderts.

Syria unrest

Ein TV-Bild von Al Arabiya vom Sonntag: An einem ungenannten Ort in Syrien steht ein Zivilist vor einem Militärfahrzeug mit Soldaten. Immer mehr Angehörige der syrischen Streitkräfte sollen aufgrund der massiven Gewalt des Assad-Regimes zu den Aufständischen überlaufen. 

(Foto: dpa)

Die aktuellen Beispiele aus der Region sind wenig nachahmenswert. Im Libanon werden hohe Ämter in Staat und Regierung unter Christen, Sunniten, Schiiten und den übrigen Konfessionen aufgeteilt. Aber der konfessionelle Proporz ähnelt mehr institutionalisiertem Tribalismus als politischer Integration. Ähnlich unflexibel ist die politische Landschaft in Irak. Beide Modelle wurden von außen moderiert, beide Länder durch Bürgerkriege zerrissen.

Eine moderne arabische Demokratie müsste neue Antworten finden auf das Völker- und Religionsgemisch. In Syrien lässt der Assad-Clan Angehörige der eigenen alawitischen Minderheit gegen die meist sunnitischen Aufrührer vorrücken - und schürt die Gefahr einer konfessionellen Explosion. Die demonstrative Einheit der Aufständischen zeigt aber auch, dass sich die Grenzen zwischen den Konfessionen überwinden lassen.

Eine arabische Demokratie würde sich wohl trotz allem von Europa mehr inspirieren lassen als von Indonesien, so wie die arabischen Modernisierer stets mehr nach Europa als nach Asien geschaut haben. Die bisherigen Transfererfolge allerdings waren bescheiden.

Ägyptens Liberale in den zwanziger und dreißiger Jahren scheiterten am britischen Quasi-Kolonialregime, das ihnen das oberste Ziel - die Unabhängigkeit - verweigerte. Die Baath-Partei in Irak und Syrien versprach zwar sozialistische Gleichheit, wandelte sich aber zum Repressionsinstrument.

Heute agieren die arabischen Staaten unabhängig, aber unter politisch komplexeren Bedingungen. Eine arabische Demokratie müsste den traditionellen islamischen Gemeinschaftsgedanken mit dem neuen Nationalismus harmonisieren, den die Aufstände hervorgebracht haben. Sie würde zeigen, ob der Islamismus im freien politischen Wettbewerb überhaupt alltagstauglich ist. Sie müsste anderen Staaten selbstbewusst, aber nicht paranoid entgegentreten.

Die arabische Demokratie des 21. Jahrhunderts existiert derzeit nur im politischen Konjunktiv. Aber schon das ist mehr als vor einem halben Jahr.

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