Arabischer Frühling:Bomben, Streik und Zuckermangel

In Syrien und Libyen mündete der Arabische Frühling in Krieg. Doch auch in anderen Staaten ist man frustriert.

Von Paul-Anton Krüger

Es war der Tod des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi, der 2011 in Tunesien den Arabischen Frühling ausgelöst hat. Der Mann hatte sich selbst angezündet. Millionen in der arabischen Welt konnten sich mit seinem Schicksal identifizieren, mit seinem Protest gegen die Willkür der Behörden und die Demütigungen. Mit seiner Verzweiflung über die ärmlichen Verhältnisse. Millionen fühlen wohl auch mit Mouhcine Fikri, dem Fischhändler in Marokko, der in der Presse eines Müllwagens starb. Aber eine neue Welle von Aufständen wird sein Tod kaum auslösen. Denn der Arabische Frühling ist in vielen Ländern der Region schlecht in Erinnerung:

Tunesien

In Tunesien, dem einzigen Land des Arabischen Frühlings, das den Übergang zur Demokratie geschafft hat, sind die Menschen zunehmend frustriert. Zwar wünscht sich kaum jemand den Diktator Zine el-Abidine Ben Ali zurück, aber das relative Wohlergehen zu seiner Zeit wird verklärt. Die Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15,6 Prozent, unter jungen Tunesiern sogar doppelt so hoch. Immer wieder gibt es Selbsttötungen. Mit einem neuen Programm, genannt "Vertrag der Würde", will der neue Premier Youssef Chahed Jobs für 25 000 Universitätsabsolventen schaffen. Zwei Drittel des Gehalts von 600 Dinar pro Monat, umgerechnet etwa 240 Euro, soll der Staat tragen.

Unter Ben Ali war der Staat der wichtigste Arbeitgeber, 13,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung gibt Tunesien für seine Bediensteten aus, einer der höchsten Werte weltweit. Ungeachtet dessen ruft der mächtige Gewerkschaftsbund UGTT zu Protesten auf gegen den Plan der Regierung, die Gehälter im öffentlichen Dienst einzufrieren und einen Einstellungsstopp zu verhängen. Das Budgetdefizit dürfte von fünf Prozent 2015 auf 6,5 Prozent steigen. Die EU hat zwar beschlossen, 2017 ihre Finanzhilfe auf 300 Millionen Euro zu verdoppeln und bewilligte neue Kredite über 500 Millionen. Allerdings muss Tunis dann auch Darlehen in Milliardenhöhe bedienen.

Bis heute leidet Tunesien unter dem Einbruch des Tourismus nach den Anschlägen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Tunis und Sousse. Die Branche war mit acht Prozent Anteil an der Wirtschaftsleistung eine der wichtigsten und brachte Devisen. Zugleich bot sie vielen Tunesiern Jobs.

Ägypten

Noch schlechter sieht es in Ägypten aus, dem mit 92 Millionen Einwohnern größten Land der arabischen Welt. Für viele verband sich mit der Wahl von Ex-General Abdel Fattah al-Sisi zum Präsidenten die Hoffnung auf bessere Zeiten. Doch das Land ist immer tiefer in die Krise geschlittert. Ein wichtiger Faktor auch hier: der Zusammenbruch des Tourismus nach dem Anschlag des IS auf einen russischen Ferienflieger.

Die Devisenreserven des auf Importe angewiesenen Landes schmolzen auf zeitweise weniger als 16 Milliarden Dollar zusammen; das reicht gerade, um die Einfuhren für zehn Wochen zu bezahlen. Für Dollars und Euros werden am Schwarzmarkt Aufschläge zwischen 50 und 100 Prozent auf den Zentralbank-Kurs verlangt. Die Folge ist eine Versorgungskrise. Zucker, für viele arme Ägypter der einzige Luxus, löffelweise in den Tee gerührt, ist vielerorts nicht mehr zu bekommen, auch Reis und Pflanzenöl werden rationiert. Die Regierung reagiert mit Durchhalteparolen; Sisi sagte auf einer Jugendkonferenz: "Bei Gott, ich habe zehn Jahre lang nichts im Kühlschrank gehabt und mich nie beschwert!" Seither wird er unter dem Hashtag #Sisis Kühlschrank in sozialen Netzwerken mit Spott überschüttet.

Anders als politisch motivierte Proteste nimmt das Regime die Unzufriedenheit über die Wirtschaftslage ernst. Die Armee hat angekündigt, Lebensmittelpakete für acht Millionen Empfänger zu stark subventionierten Preisen zu verteilen. Für den 11. November gibt es Aufrufe zu einer "Revolution der Armen". Kaum jemand in Kairo rechnet aber mit Massenprotesten an diesem Tag. Zu groß ist die Angst vor der brutalen Reaktion des Sicherheitsapparats. Aber die Wut staut sich an.

Algerien

In Algerien haben die Menschen schon die Umbrüche 2011 mit großer Skepsis beobachtet. Viele fürchteten, dass ihr Land in den Bürgerkrieg der Neunzigerjahre zurückfallen könnte, wenn eine Revolution den greisen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika hinwegfegen würde. Gas- und Ölexporte ließen die Wirtschaft brummen, jetzt aber leidet das nordafrikanische Land wie die Golfstaaten auch unter den niedrigen Preisen. Den Appetit auf eine Revolution steigert aber auch das nicht. Die Beispiele in der Region sind zu abschreckend.

Syrien, Libyen, Jemen

In Syrien führte der Aufstand gegen die Unterdrückung durch das Regime von Baschar al-Assad in einen Bürgerkrieg, der das Land verheert. Assad reagierte mit kompromissloser Härte und Brutalität auf die Forderungen nach Freiheit und Gerechtigkeit. Libyen, ebenfalls vom Krieg zerstört, hat zwar die besten Voraussetzungen, sich wirtschaftlich zu erholen und verfügt noch über etwa 70 Milliarden Dollar Reserven. Doch interne Machtkämpfe verhindern eine Stabilisierung des Landes. Und Jemen, das ärmste Land der Region, ist ebenfalls in einem Bürgerkrieg mit Beteiligung Saudi-Arabiens gefangen - es steht am Rande einer Hungersnot, die Cholera grassiert.

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