Arabische Welt: Gaddafis Sieg:Der schleichende Tod der Revolution

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Gaddafis Truppen erobern mit aller Brutalität besetzte Gebiete zurück, Widerstandskämpfer lässt er per Kopfschuss hinrichten. So beerdigt der Diktator den Aufstand. Doch nun gibt es eine falsche und eine richtige Seite - und die Politik muss wissen, auf welcher sie steht.

Stefan Kornelius

Am 17. Dezember 2010, exakt vor drei Monaten, überschüttete sich der tunesische Melonenverkäufer Mohamed Bouazizi aus Protest gegen Demütigungen der Behörden mit Benzin und entzündete ein Feuer. Die Flammen verletzten Bouazizi so sehr, dass er 18 Tage später starb. 5000 Menschen gaben ihm das letzte Geleit, und der politische Zorn, der mit der Selbstverbrennung aufgekocht war, trieb nach nur vier Wochen den Machthaber Ben Ali aus dem Land.

Unauffhaltsam rollen die Panzer von Muammar al-Gaddafi nach Osten. Die arabische Revolution scheint am Ende. (Foto: REUTERS)

Wenn Mohamed Bouazizi die Märtyrerfigur der arabischen Demokratiebewegung ist, dann wird Muammar al-Gaddafi zum Paten für deren schleichenden Tod. Drei Monate nach Beginn der Aufwallung scheint der Protest erschöpft in sich zusammenzufallen. Die Kräfte der Beharrung, die Zähigkeit der alten Mächte - sie haben die Euphorie gebrochen und die arabische Massenbewegung gestoppt.

Gaddafis Truppen marschieren mit unvergleichbarer Brutalität nach Osten und erobern die von den Revolutionären besetzten Gebiete zurück. Es gibt Filmaufnahmen, die die Hinrichtung eines Widerstandskämpfers per Kopfschuss zeigen. Kriegsschiffe beschießen die Küste mit Granaten. Im Jemen setzt der Diktator giftige Gase gegen die Demonstranten ein. In Bahrain bedient sich das sunnitische Herrscherhaus saudischer Söldner und verweigert den Verletzten die Behandlung im Krankenhaus. Überall in der arabischen Welt erlahmt der Reformeifer, die gerade noch euphorisierten Massen stürzen in eine postrevolutionäre Depression. War also alles nur zu schön, um wahr zu sein?

Gaddafis militärische Erfolge sind zwar augenscheinlich der Beweis dafür, dass die Revolution an ihr Ende kommt. Tatsächlich aber ist es nicht wenig, was die demokratie- und freiheitshungrigen Menschen von Marokko bis Bahrain erreicht haben. Niemand durfte annehmen, dass sich die autokratischen Strukturen in nur drei Monaten beseitigen lassen. Demokratie lässt sich nicht übers Wochenende einführen. Sie ist ein zähes Geschäft.

Doch jetzt geht die arabische Welt erst einmal durch die Phase der Konterrevolution. Zu viele Mächtige mussten den Verlust von Geld und Einfluss befürchten - Gaddafi und der König Al Chalifa aus Bahrain haben ihnen gezeigt, dass die alten Methoden des Machterhalts durchaus noch funktionieren. Unterdrückung und Terror, das sind ihre Verbündeten. Dass Hosni Mubarak im Gegensatz zu anderen arabischen Despoten nicht mit Gewalt auf die Proteste auf dem Tahrir-Platz reagiert hat, ist dem ägyptischen Militär zu verdanken, das in der Freiheitsbewegung die bessere Zukunft für das Land erkannte.

Gaddafi hat sich zunächst von dem Druck befreit, der auf ihm lastete. Er hat die Initiative zurückgewonnen, und möglicherweise wird er nun mit ungeahnter Brutalität über Bengasi herfallen und im Zentrum des Widerstands ein Gemetzel anrichten. Gewonnen hat er damit nichts. Er wird über ein geteiltes Land herrschen, in dem womöglich eine Guerillabewegung entsteht, und in dem jeder Tag sein letzter sein könnte. Für den Rest seines Daseins wird er international isoliert sein. Wenn es schon ein Fehler war, dem Diktator nach seiner Phase als Terror-Sponsor die ölgeschmierte Rückkehr in die Staatenwelt zu ermöglichen, so wird dieses Mal eine Wiederholung ausgeschlossen sein. Dem deutschen Außenminister, den der Wüsten-Wirrkopf nun als Freund preist, sollte die Umarmung peinlich sein.

Der Westen, allen voran die USA, aber auch Deutschland, begeht in den arabischen Revolutionswirren bereits zum zweiten Mal denselben Fehler: Seine Unentschlossenheit und Zögerlichkeit schaden den Kräften der Demokratie. Die Reformer fühlen sich verraten und im Stich gelassen.

Erst findet sich keine klare Opposition im Ausland gegen Mubarak und Co. - Frankreich klüngelt mit Ben Ali, Obama mit Mubarak. Dann verstrickt sich der Westen vollständig in seinen eigenen Widersprüchen. Die USA wollen Gaddafi notfalls mit Gewalt vertreiben, finden aber keine klare Sprache im Fall Bahrain, wo die eigene Golfflotte liegt. Die Bundesregierung fände eine Revolution auch in Libyen ganz erstrebenswert, ein Flugverbot jedoch will sie nicht unterstützen.

Revolutionen aber verlangen nach einem Bekenntnis - ein bisschen Umsturz geht nicht. Spätestens als die Arabische Liga zum Flugverbot gegen Libyen aufrief, hätte die Welt reagieren müssen - notfalls auch ohne UN-Mandat. In diesem Moment hatte sich die Situation entschieden geändert, denn der Westen wurde nicht mehr als ungebetener Akteur abgewiesen, sondern um Hilfe gebeten. Das Zaudern Deutschlands, aber auch der Türkei (von Russland und China war wenig anderes zu erwarten), hat indes alle Hoffnung zerstört. Die Enttäuschung der Vergessenen wird Deutschland noch lange anhängen.

Der revolutionäre Elan mag nun erschlaffen. Eine Lehre aber sollte die Politik im Umgang mit den Staaten Arabiens beherzigen: Es gibt sie nun, die falsche und die richtige Seite. Und es gibt keine Entschuldigung mehr für alle, die sich jetzt noch nicht entschieden haben, auf welche Seite sie eigentlich gehören.

© SZ vom 18.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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