Süddeutsche Zeitung

Arabische Liga:Unter Brüdern

In der arabischen Welt schwindet die Solidarität mit den Palästinensern, eine Reihe von Staaten sieht in Israel nicht mehr den Hauptfeind.

Von Paul-Anton Krüger

Am Sonntag kommt die Arabische Liga in der saudischen Küstenstadt Dhahran zum jährlichen Gipfeltreffen zusammen. Die Einheit der Araber wird dort beschworen werden - und angesichts der Eskalation an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen die Rechte des "brüderlichen palästinensischen Volkes". Doch bei kaum einem anderen Thema wird deutlicher, wie sich jenseits ritueller Solidaritätsbekundungen die Prioritäten der Regionalmächte verschoben haben, allen voran die des Gastgebers Saudi-Arabien und der verbündeten Vereinigten Arabischen Emirate. Ihnen gilt längst nicht mehr Israel als primärer Feind, sondern Iran und die Muslimbruderschaft sowie deren Unterstützer, die Türkei und Katar - Israel sieht das ähnlich.

Kuwait legte zwar im Namen der arabischen Staaten nach dem "Tag des Bodens" am 31. März dem UN-Sicherheitsrat eine Erklärung vor, die eine "unabhängige und transparente Untersuchung" der Gewalt fordert, bei der 22 Palästinenser von Schüssen israelischer Soldaten getötet wurden. Doch die USA blockierten den Vorstoß per Veto, ebenso einen zweiten Versuch nach neuen Zusammenstößen am Freitag, bei denen neun Palästinenser getötet wurden.

Die Arabische Liga rief zur Dringlichkeitssitzung, will nun in der UN-Generalversammlung ein Mandat für eine Untersuchung erreichen - das Gremium mit 193 Staaten kennt kein Veto. Sie will überdies Israels Bewerbung auf einen temporären Sitz im Sicherheitsrat blockieren. Schärfere Maßnahmen aber beschloss sie nicht.

Ägypten, das zwischen der gemäßigten Fatah im Westjordanland und der radikalen Hamas im Gazastreifen eine Einheitsregierung zu vermitteln versucht, prangerte am Samstag in einer Erklärung des Außenministeriums den "fortgesetzten und unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt gegen wehrlose palästinensische Zivilisten bei friedlichen Demonstrationen " an. Die enge Sicherheitszusammenarbeit mit Israel aber setzt Kairo offenkundig fort.

Jordaniens Informationsminister Mohammed Momani beschwor in Baku die blockfreien Staaten, es gebe "keinen Weg, die Konflikte zu lösen und das Chaos in der Region zu beenden, ohne die Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Besatzung der palästinensischen Brüder zu beenden". König Abdullah II. steht massiv unter Druck; die Mehrheit im haschemitischen Königreich hat palästinensische Wurzeln.

Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Ahmed Abul-Gheit, machte indes deutlich, worum es in Dhahran vor allem gehen soll: eine "konzertierte Anstrengung gegen die äußere Einmischung in arabische Angelegenheiten". Das zielt auf Iran und die Schiiten-Miliz Hisbollah, deren Rolle in Syrien, in Jemen, Irak und Libanon sowie im Gazastreifen, ebenso wie auf die Türkei.

Riad treibt mit den USA Geheimdiplomatie voran für einen Friedensplan

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman erregte bei seinem Amerika-Besuch Aufsehen, als er vom Existenzrecht Israels sprach - wie von dem eines palästinensischen Staates. Er wiederholte damit Positionen, die das Königreich seit seiner Arabischen Friedensinitiative von 2002 vertritt. Doch Timing und Nuancen ließen aufhorchen. Der 2015 verstorbene König Abdullah hatte stets die Bedingung betont: ein Friedensabkommen auf Basis der Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als palästinensischer Hauptstadt. Nun gewährt Riad erstmals Überflugrechte für eine Verbindung der Air India nach Tel Aviv und treibt mit den USA Geheimdiplomatie voran für einen Friedensplan, der Israel wohl mehr entgegenkäme als den Palästinensern.

König Salman sah es als nötig an, Saudi-Arabiens "unverbrüchliche Unterstützung für die Palästinenser" zu betonen; er telefonierte mit US-Präsident Donald Trump. Das hielt den Sohn nicht ab, weiter über gemeinsame Interessen mit Israel zu sprechen, so mit Blick auf die geplante Sonderwirtschaftszone am Roten Meer samt der Technologiestadt Neom, an denen auch Ägypten und Jordanien teilhaben sollen. Zu Hause erhält er Unterstützung dafür. Auf Twitter ist der Hashtag "#Riad ist wichtiger als Jerusalem" im Trend, nicht erst seit am Freitag im Gazastreifen Bilder des Thronfolgers brannten.

Etliche arabische Regierungen sehen in den Krawallen an der Gaza-Grenze den Versuch der Hamas, sich aus der politischen und wirtschaftlichen Isolation zu befreien; Ägypten hält wie Israel die Blockade des Gazastreifens mit wenigen Ausnahmen aufrecht. Die Autonomiebehörde in Ramallah stoppte Zahlungen, als die Umsetzung des Plans für eine Einheitsregierung ins Stocken geriet. Die Hamas ist aus Sicht Riads, Abu Dhabis und Kairos nicht nur Ableger der als terroristisch angesehenen Muslimbrüder, sondern überdies ein Handlanger des schiitischen Regimes in Teheran, auch wenn die Gruppe sunnitisch ist.

In dieser Wahrnehmung fühlen sie sich bestärkt durch wütende Tiraden des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und die Warnung von Irans Oberstem Führer Ali Chamenei, jeder Schritt zu Verhandlungen mit Israel sei ein "großer unverzeihlicher Fehler". Katar, bislang wichtiger Unterstützer der Hamas, hat die Zahlungen an die Hamas nicht zuletzt auf Druck aus den USA eingestellt. So gesehen sind die Zusammenstöße für Riad eine lästige Ablenkung von den wahren Problemen der Region, auch wenn sich die Gipfelerklärung von Dhahran vielleicht auf den ersten Blick anders lesen wird.

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SZ vom 09.04.2018
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