Süddeutsche Zeitung

Arabische Clans:Berliner der besonderen Art

  • Ralph Ghadban warnt vor arabischen Clans in Berlin und anderswo in Deutschland.
  • Der Islamwissenschaftler dokumentiert deren Weg in die organisierte Kriminalität - tendiert aber stark zu Pauschalurteilen.

Rezension von Wolfgang Freund

Nun lauert also plötzlich der wildgewordene "Araber" an jeder deutschen Straßenecke? Mit dem Dolch im Gewande gar, ein wenig nach dem Bild des Mroko Sakin?

Sakin heißt auf Arabisch oder auch auf Hebräisch "Messer", und Mroko Sakin wurden vor Jahrzehnten in Israel jüdisch-marokkanische Einwanderer genannt, nachdem sie sich vor der Übermacht der dort regierenden ex-osteuropäischen "Leitkultur"-Träger zum Clan der "Schwarzen Panther" zusammengerottet und während der Sechziger- und Siebzigerjahre das Land, in dem sie neu heimisch geworden waren, da und dort ein wenig "terrorisiert" hatten.

Dieser Clan rang allerdings um Anerkennung und Gleichstellung in seiner neuen Heimat Israel, nicht gegen dieselbe, wie es heute mit den arabischen Clans in Deutschland der Fall zu sein scheint, sollte die Analyse Ralph Ghadbans tatsächlich stimmen.

Der 1949 in Libanon geborene und heute in Berlin lebende Politologe, Islamwissenschaftler und Publizist sowie Sozialarbeiter mit praktischer Erfahrung im Feld der Berliner Nahost-Migranten sieht solche Clans als ernsthafte Sicherheitsbedrohung für die gesamte Republik (auch über deren Grenzen hinaus).

Durch Herkunft sowie universitäre Studiengänge (Beirut 1966 - 1972, West-Berlin ab 1972 mit Promotion) ist der Autor auf gehobenem Niveau mehrsprachig: arabisch, englisch, französisch, deutsch. Zweifelsfrei ein wichtiger Pluspunkt für die Auseinandersetzung mit dem von ihm gewählten Thema. Dennoch gibt es "Ausrutscher".

So schreibt Ghadban auch fürchterliche Sätze, die das Gruseln lehren und so nicht stimmen, wie zum Beispiel dort, wo er die Frage nach der Möglichkeit, aus dem Islam auszutreten, stellt: "... Das Verlassen des Islam ist (...) nicht mehr möglich, in allen islamischen Ländern wird es mit dem Leben bestraft." So knallhart ist das falsch, zutreffend allenfalls für Saudi-Arabien, Pakistan oder auch Iran.

Anderswo in arabisch-islamischen Ländern drohen bei islambezogener Apostasie Gefängnisstrafen und/oder soziale Ächtung im Berufs- und Privatleben, ja bis hinein in die Familien. Natürlich schlimm genug für Betroffene. Doch der Henker tritt zwischen Casablanca und Islamabad bei islamischem Renegatentum nicht überall in Erscheinung, und in Afrika oder Südostasien (Indonesien) schon gar nicht.

Man sollte deshalb sehr genau verdeutlichen, wovon bei derartigen Feststellungen die Rede ist. Der Autor macht es sich da und dort etwas leicht und pauschaliert voreilig, aus seiner spezifischen Ecke heraus.

Denn Ghadbans Sicht ist deutsch-libanesisch eingeengt. Deutsch, weil alles seinen Ausgang nimmt in Berlin, und libanesisch, weil Autor bestimmte Libanesen offensichtlich nicht besonders mag.

Man kann ihm das nicht einmal verdenken, hat doch Libanon das Beste wie auch das Schlimmste von dem hervorgebracht, was der arabische Orient im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte "human" zu bieten hatte: auf der einen Seite internationale "Intelligenzen" auf hohem Niveau, sich gleichermaßen in Geisteswissenschaften oder Literatur auf Arabisch, Französisch oder Englisch hervortuend, und dem gegenüber mafiose Clans, die ihre Netze von den arabischen Ölmonarchien über Westafrika, Lateinamerika, die USA und Kanada sowie Westeuropa (Frankreich, Großbritannien und eben auch Deutschland) unentwirrbar zu knüpfen verstanden.

Aus dem Libanon haben, so der Autor, die Clans ihre "Parallelgesellschaft" mitgebracht

Ghadbans Grundthese: In Deutschland wütet ein besonderer libanesischer Clan, mit Namen "Mhallami". Gemeint sind islamische Migranten, welche - über türkisch-kurdische Querelen - während der Zwanziger-, Dreissiger- und bis in die Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts hinein Zuflucht im multikonfessionellen Libanon gefunden hatten.

In Libanon selbst jedoch nie richtig Fuß gefasst habend, flohen die Mhallami während der libanesischen Bürgerkriegsjahre (1975 - 1990) weiter Richtung Europa, mit Schwerpunkt Deutschland und vor allem West-Berlin. Sie wurden "Berliner", doch eher solche der besonderen Art. Aus dem Libanon hatten sie ihre als "Parallelgesellschaft" entwickelten Clan-Strukturen mitgebracht und sich nach altem Muster auf diese Weise hier neu organisiert.

Dies keineswegs mittels zunehmender Hinwendung auf die sie umgebende deutsche Mehrheitsgesellschaft, sondern durch gewollte Abspaltung von derselben auf dem Wege organisierter Kriminalität (Ghadban) in den "Disziplinen" Diebstahl, Erpressung, Gewaltdelikte, Prostitution und Rauschgifthandel. Das Modell fand metastasenhafte Fortschreibung bei anderen Gruppierungen der innerdeutschen sowie europäischen Kriminellenszene.

In der detailreichen Schilderung dieser Vorgänge und Ausuferungen liegt zweifelsohne die dokumentarische Qualität des Buches. Der Autor macht verstehbar, dass zumindest streckenweise das "Mhallami-Modell" bei anderen "parallelgesellschaftlich" organisierten Gruppen über den eigenen Clan hinausgehende Schule macht. Daher "die unterschätzte Gefahr", wie schon im Buchtitel formuliert.

Und wo nicht Kriminelles sichtbar dominiert, geschieht es untergründig, Ghabdan schreibt: "Sozialhilfe wird als festes Einkommen betrachtet und Schwarzarbeit als zusätzliche Einkommensquelle."

An solchen Pauschalurteilen mit dem Vorschlaghammer hat dieses Buch keinen Mangel. Der unbedarfte Leser mag nach Lektüre zur Auffassung gelangen, in Deutschland lebte es sich noch nie so gefährlich wie in diesen Tagen, dank Clans der Mhallami-Art und ihrem Treiben auf den Straßen und in den nächtlichen Gassen der Republik.

Man darf sich dabei aber vielleicht der Tatsache erinnern, dass es heute in deutschen und europäischen Großstädten nicht mehr und nicht weniger kriminell zugeht als schon vor 20 oder 30 Jahren.

Wolfgang Freund ist deutsch-französischer Sozialwissenschaftler (Schwerpunkt "Mittelmeerkulturen"). Zahlreiche Publikationen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Lebt heute in Südfrankreich.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018/odg
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