Arabien:Garten der Legenden

Im Orient wird viel gelogen - und über den Orient auch. Die Aussichten auf eine Zusammenarbeit zwischen Teheran und dem Westen stehen aber tatsächlich gut. Iran wäre ein besserer Partner als Saudi-Arabien.

Von Rudolph Chimelli

Der Konfliktalltag im Nahen Osten wird vom Ringen um die regionale Hegemonie zwischen Iran und Saudi-Arabien angeheizt. Dabei hatten die Saudis jahrzehntelang die bessere Presse. Sie galten als Verbündete des Westens, Hort der Stabilität, solvente Kunden seiner Rüstungsindustrie und Garanten erschwinglicher Ölpreise. Die Geringerstellung der Frauen und eine drakonische Strafjustiz wurden als Folklore relativiert, die nicht von Dauer sein werde.

Seit Iran den Atomstreit mit den USA beigelegt hat, verändert sich die Wahrnehmung. Das zivilisatorische Gefälle zwischen den Ufern des Persischen Golfs tritt hervor. Auf der einen Seite ist da die uralte Kulturnation Persien mit 85 Millionen Einwohnern und einem großen Potenzial moderner Wirtschaft - auf der anderen das Wüstenkönigreich der 29 Millionen, das es vor hundert Jahren noch nicht gab.

Warum Iran ein besserer Partner der USA als Saudi Arabien wäre

Die Saudis hatten erst Öl, dann Öl und Geld und zuletzt von beidem wieder weniger, weil die Ölpreise gefallen sind und der Importbedarf der USA gesunken ist. Trotzdem hielten Meinungsmacher und Entscheider in Washington länger am Traum von der ewigen Allianz mit den Ölprinzen fest als klügere Europäer und Asiaten. Dass am Ende die Wahl auf Iran, den stärkeren der ungleichen Partner, fallen würde, war fast unausweichlich.

Zu dieser Lage trug der Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bei. Eine Terrorkampagne mit Anschlägen in Paris und Brüssel lässt sich vom belgischen Molenbeek oder einer französischen Banlieue aus nicht steuern. Dafür braucht das Kalifat eine territoriale Basis. Die Rückeroberung von Palmyra durch die syrische Armee war daher ein großer Sieg über den IS. Dessen Vertreibung aus Raqqa oder Mossul ist vorstellbar geworden. Sie brächte wohl sein Ende. Der Entschluss der USA und Russlands, den Feind gemeinsam zu bombardieren, wenn auch mit geteilten Zielen, ist wohl richtig.

Es geht, wieder mal, um Macht und Interessen. Die Thesen vom Stellvertreterkrieg zwischen Iran und Saudi-Arabien oder von der Spaltung der islamischen Welt in Sunniten und Schiiten weisen Lücken auf. Zwar wird die palästinensische Hamas von Teheran unterstützt, aber sie ist ein Zweig am sunnitischen Stamm der Muslimbrüder. Dass sich der frühere syrische Diktator Hafis al-Assad schon vor Jahrzehnten Iran zuwandte, hing mit dessen Krieg gegen den Irak zusammen. Der irakische Zweig der Baath-Partei war verfeindet mit den syrischen Gründervätern; und für seinen Dolchstoß in den Rücken der Iraker bekam Assad senior iranisches Erdöl.

Doch was bedeuten Fakten in Zeiten des Gedächtnisverlustes? Da wäre etwa Jemen. Die Saudis, deren Krieg dort Tausende Opfer fordert, behaupten, sie müssten eine iranische Intervention zugunsten schiitischer Stämme abwehren. Mit ihren Eliteeinheiten sind die Iraner aber schon im Irak und in Syrien engagiert. An einem weiteren Krieg sind sie nicht interessiert. Tatsächlich sind nicht viele Iraner in Jemen. Der Schluss "Schiit gleich Schiit" ist hier wenig am Platz.

Das Morgenland ist ein Garten der Legenden. Selbst die Wahhabiten, die Hüter der reinen Ideen Saudi-Arabiens, polieren ihr Geschichtsbild. Noch heute weisen die Söhne des Staatsgründers Abdel Asis Ibn Saud das Gespräch mit Oppositionellen zurück. Wir haben das Reich mit dem Schwert gewonnen, wir geben es nur unter dem Schwert wieder her, sagen sie. Neben dem Schwert sicherten aber auch die Ehen das Reich, die Abdel Asis mit Töchtern der Stämme der arabischen Halbinsel schloss. Die Korruption in der Familie der Sauds wurde so endemisch.

Niemand trägt mehr Schuld am Elend zwischen Hindukusch und Levante als die Vereinigten Staaten und ihre militärischen Verbündeten. Sie intervenierten in Afghanistan, angeblich in Reaktion auf die Al-Qaida-Anschläge vom 11. September 2001. Der Irak wurde unter frei erfundenen Vorwänden attackiert. Hunderttausende starben, Millionen verloren ihre Existenz und Heimat. Das, was die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Fluchtursachen nennt, wurde auch damals geschaffen.

Im Orient wird viel gelogen. Über den Orient auch. Die Chancen für eine dauerhafte Zusammenarbeit des Westens mit Iran beruhen allerdings auf soliden Tatsachen und nicht mehr, wie lange Zeit, auf Selbsttäuschung und Geschwätz.

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