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Anzeige wegen Folter während des Irak-Kriegs:Britische Soldaten sollen Kriegsverbrechen begangen haben

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Vor zehn Jahren schockierten die Bilder des US-Kriegsgefangenenlagers Abu Ghraib im Irak die Welt. Die Folter und der Missbrauch waren der Exzess einer fehlgeleiteten Supermacht. Und womöglich kein Einzelfall: 109 Iraker beschuldigen nun auch Großbritannien der Kriegsverbrechen.

Von John Goetz, Antonius Kempmann, Frederik Obermaier und Marc Felix Serrao

Der 26-jährige Witwer Baha Mousa starb nach zwei Tagen in britischer Haft. Im Obduktionsbericht war später von 93 Verletzungen die Rede, von Schürfwunden, Platzwunden und gebrochenen Rippen. Todesursache: Ersticken.

Das war 2003, Großbritannien und die USA waren einige Monate zuvor mit der "Koalition der Willigen" in den Irak einmarschiert. Dass Baha Mousa in britischer Haft nach stundenlanger Folter starb, sei ein bedauerlicher Einzelfall, erklärte das Militär.

Und genau das soll eine Lüge sein. Jedenfalls behaupten das die Berliner Nichtregierungsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und die Public Interest Lawyers (PIL), eine gemeinnützige Anwaltskanzlei aus Birmingham.

Die beiden Organisationen werfen den Briten systematische Folter und Kriegsverbrechen vor. Sie haben am Freitag beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag Anzeige erstattet.

Die Anwälte fordern Ermittlungen gegen hochrangige britische Kommandeure, damalige Minister und Staatssekretäre. Das ECCHR und die PIL schickten ein 250-seitiges Dokument nach Den Haag, das der SZ und dem NDR vorliegt. Es trägt den Titel "Die Verantwortung von Vertretern des Vereinigten Königreichs für Kriegsverbrechen - darunter systematische Misshandlungen von Gefangenen im Irak in den Jahren 2003 bis 2008".

Angeordnete Misshandlungen?

Der Begriff "systematisch" ist entscheidend. Insgesamt 109 ehemalige irakische Gefangene haben ihre Erlebnisse zu Protokoll gegeben. Wenn sie alle - zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Gefangenenlagern - auf ähnliche Weise gequält wurden, dann liegt der Verdacht nahe, dass die Misshandlungen angeordnet wurden. "Dennoch herrscht bis heute eine faktische Straflosigkeit von systematischer Folter und Misshandlungen, die während des Irak-Kriegs begangen wurden," sagt der PIL-Anwalt Phil Shiner.

Es sei Aufgabe der Ankläger am Internationalen Strafgerichtshof, endlich die notwendigen Ermittlungen aufzunehmen. "Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ist die letzte Möglichkeit, für die Opfer von Folter und Gefangenenmisshandlung Gerechtigkeit zu erlangen", sagt ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck. Das britische Verteidigungsministerium bestätigte am Freitagabend auf eine gemeinsame Anfrage von SZ und NDR, dass es im Irak zu Misshandlungen durch britische Soldaten gekommen sei - in "wenigen Fällen". Den Vorwurf, britische Soldaten hätten systematisch gefoltert, wies ein Sprecher zurück.

Zweiter Versuch nach acht Jahren

Vor acht Jahren war der Strafgerichtshof schon einmal zu mehreren mutmaßlichen Missbrauchsfällen im Irak angerufen worden. Damals antwortete das Gericht, dass die Unterlagen eine "begründete Grundlage" für die Annahme böten, dass Straftaten begangen worden seien, "namentlich die absichtliche Tötung von Zivilisten und unmenschliche Behandlung".

Dem Gericht reichten die Beweismittel am Ende jedoch nicht aus, um eine Untersuchung zu veranlassen. Das könne sich aber ändern: wenn die Juristen "neue Fakten" vorlegen.

Das haben die beiden Nichtregierungsorganisationen nun getan.

Die Süddeutschen Zeitung berichtet in ihrer Wochenend-Ausgabe ausführlich über die Vorwürfe und dokumentiert die Aussagen neun irakischer Zeugen. Ab Samstag am Kiosk oder ab sofort in der Digitalausgabe. Die ARD sendet am Sonntag, 12. Januar, um 19.20 Uhr im Weltspiegel einen Beitrag zu den Vorwürfen gegen das britische Militär.

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Quelle:
SZ/ John Goetz, Antonius Kempmann, Frederik Obermaier und Marc Felix Serrao
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