Anwaltstag in Hamburg:Wie man Whistleblower besser schützen könnte

  • Auch in Deutschland müssen Whistleblower mit Sanktionen rechnen. Nicht mit Isolationshaft, aber mit Kündigung. Sie werden gemobbt, gekündigt, frühpensioniert.
  • Auf dem Deutschen Anwaltstag in Hamburg diskutieren Juristen über Whistleblower und ihre Rolle.
  • Bereits heute wäre es möglich, den Schutz der Whistleblower zu stärken. Wenn Arbeitnehmer gekündigt werden sollen, weil sie über Missstände berichtet haben, muss auch das "öffentliche Interesse" berücksichtigt werden - nicht nur die des Arbeitgebers.

Von Wolfgang Janisch

Seit der prominenteste Whistleblower der jüngeren Geschichte, Edward Snowden, ausgerechnet im autoritären Russland vor den demokratischen USA Schutz suchen muss, hat sich herumgesprochen: Diese Spezies benötigt Schutz. Trotzdem musste mancher Zuhörer schlucken, als Wolfgang Kaleck, der deutsche Anwalt Snowdens, noch einmal ausbuchstabierte, wie massiv die Sanktionen für einen unliebsamen Informanten von dieser Größenordnung sein können.

Snowden habe in den USA wegen Verstoßes gegen den uralten "Espionage Act" sowie wegen des Diebstahls von Regierungseigentum mit ein paar tausend Jahren Haft zu rechnen - also mit einem sehr realen und durch gute Führung nicht entscheidend zu mildernden lebenslang, schilderte Kaleck beim am Wochenende zu Ende gegangenen 66. Deutschen Anwaltstag in Hamburg.

Snowden droht weitgehende Isolation im Gefängnis

Snowdens hehre Motive, das öffentliche Interesse an der Enthüllung der massiven NSA-Überwachung - solche zu seinen Gunsten sprechenden Argumente würden bei seiner Verurteilung nicht einmal geprüft, wie der Oberste US-Gerichtshof 1985 entschieden habe. Und damit nicht genug. Die harten Haftbedingungen der Whistleblowerin Chelsea (früher Bradley) Manning ließen befürchten, dass Snowden im Gefängnis weitgehende Isolation drohe.

Verhandlungen mit den USA über Snowdens Schicksal hätten im Nichts geendet. "Er würde vermutlich schlechter behandelt als jemand, der geheime Pläne von Waffensystemen an einen fremden Geheimdienst verraten hat." Aber es geht nicht nur um Snowden. All jene ungleich weniger prominenten Hinweisgeber, die mit Informationen zur Aufdeckung von Skandalen und Beseitigung von Missständen beitragen, müssen auch in Deutschland mit Sanktionen rechnen. Nicht mit Isolationshaft, wohl aber mit Kündigung. Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht hier dringenden "Handlungsbedarf", ebenso der Internetaktivist Daniel Domscheit-Berg: "Das Ziel muss sein, dass wir rechtliche Rahmenbedingungen schaffen."

Die Plattform Wikileaks, deren Mitbegründer er ist, sei im Grunde nur eine "Brückentechnologie" - um Informanten wenigstens den Schutz der Anonymität zu gewähren, solange Gesetze fehlen. Nun ist, wer Betriebsinterna nach draußen gibt, nicht per se ein besserer Mensch, sondern im schlimmsten Fall jemand, der großen Schaden anrichten kann - wenn seine Vorwürfe unberechtigt sind. "Es gibt keine Wahrheits- und Glaubwürdigkeitsvermutung für Whistleblower", warnte der Frankfurter Strafverteidiger Rainer Hamm.

Hinweisgeber, die ihren Chef anschwärzen wollen

Ein Problem, das auch Domscheit-Berg aus seiner längst beendeten Zeit bei Wikileaks kennt: Vermeintliche Hinweisgeber, die in Wahrheit nur ihrem Chef eins auswischen wollen. Entscheidend sei aber nicht die Lauterkeit der Motive, sondern die Qualität der Informationen - die eben überprüft werden müsse. Der Nichtjurist Domscheit- Berg war es schließlich, der in der Juristenrunde das Kernargument für ein Informantenschutzgesetz lieferte. All die kleinen und großen Enthüller dienen einer permanenten Fehlerkorrektur - in einer Welt, die so komplex geworden ist, dass ihre Mängel sonst unentdeckt blieben. "Das gesellschaftliche System braucht mehr Augen, die drauf schauen." Also mehr Whistleblower.

Doch ihr Schutz bleibt in Deutschland Lichtjahre hinter dieser Erkenntnis zurück. Arbeitnehmer dürfen nichts tun, was ihrem Betrieb schaden könnte - tun sie das doch, werden sie "aus wichtigem Grund" vor die Tür gesetzt. Und die Liste der gekündigten Whistleblower ist lang: Der LKW-Fahrer, der 2007 den sogenannten "Gammelfleisch-Skandal" lostrat, der Revisor, der vor anderthalb Jahrzehnten gefälschte Statistiken der Arbeitsämter anprangerte, die Prokuristin, die illegale Geschäfte der DG-Bank offenlegte - gemobbt, gekündigt, frühpensioniert.

Brigitte Heinisch könnte zum Vorbild werden

Die Grünen haben im November 2014 einen Gesetzesentwurf zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte vorgelegt. Zum wiederholten Mal, vor drei Jahren waren sie im Bundestag gescheitert. Aber auch ohne Gesetzgeber gäbe es einen Weg, den Schutz der Whistleblower auszubauen. Im Juli 2011 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Klage der tapferen Brigitte Heinisch entschieden, jene Berliner Altenpflegerin, die über Jahre Hygiene-Mängel in ihrer Pflegeeinrichtung beanstandet hatte. Auch ihr war gekündigt worden, doch das Europagericht gab ihr recht: Die Kündigung verstoße gegen die Menschenrechtskonvention.

Bisher sei das Urteil von deutschen Arbeitsgerichten noch nicht angewandt worden, sagt die Hamburger Arbeitsrechtlerin Jasmin Stahlbaum-Philp. Also ein Schatz, der noch gehoben werden muss. Danach ist nämlich bei solchen Kündigungen auch das "öffentliche Interesse" zu berücksichtigen - zum Beispiel das Abstellen von Missständen in der Altenpflege. Das heißt: Während bei normalen Kündigungsprozessen nur die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf der Waagschale liegen, kommt beim redlichen Informanten noch eine Unze Gemeinwohl hinzu - womit sich die Waage zu seinen Gunsten senken könnte. Die Menschenrechtskonvention ist übrigens geltendes Recht in Deutschland.

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