Antisemitismusvorwurf:Der deutsche Nahostkonflikt

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Kocht wieder eine Debatte über Israel hoch, spüren deutsche Juden - wie hier in Düsseldorf - stets sehr unmittelbar die Folgen. (Foto: Wolfram Kastl/dpa)

Oft gibt es Streit, wenn Veranstaltungen über Israel und die Palästinenser anstehen. Jetzt wurde eine Tagung abgesagt. Die einen sprechen von Zensur, die anderen von Antisemitismus.

Von Matthias Drobinski

Sie ist verschoben, die Tagung. "Nahostpolitik im Spannungsdreieck" hieß sie, geplant für den 12. bis 14. Mai. Es sei "uns nicht gelungen, alle für das Thema maßgeblichen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in angemessener Zahl zu gewinnen", heißt es auf der Homepage der Evangelischen Akademie Tutzing. So etwas passiert immer mal.

Es hat aber diesmal keinen Referenten die Grippe erwischt. Es hat Streit gegeben, wie so oft, wenn in Deutschland der Nahostkonflikt zum Thema wird und automatisch aufs Verhältnis von Mehrheit und jüdischer Minderheit in Deutschland übergreift. Die Geschichte spielt überwiegend in Oberbayern, sie hätte aber auch in Göttingen oder Hildesheim oder Berlin spielen können, wo es ähnliche Debatten gab und gibt - und ähnliche Absagen.

Die gegenseitigen Vorwürfe sind hart. Die einen sprechen von Zensur: Veranstaltungen, die sich kritisch mit der israelischen Besatzungspolitik auseinandersetzen, würden auf Druck der jüdischen Gemeinden verhindert. Die anderen sprechen von Antisemitismus: Werde einseitig nur die israelische Seite als Aggressor dargestellt, setzte das alte Stereotype fort.

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Und manches erinnert an den aktuellen Streit zwischen dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel und dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu: Für Gabriel sind die kritischen Soldaten der Gruppe "Breaking the Silence" ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft. Für Netanjahu untergraben sie die Sicherheit Israels, und wer sie trifft, gräbt mit. Zwei Sichtweisen; es nimmt die Neigung ab, sie zusammenbringen zu wollen. Und an ihre Stelle tritt der Kampf um Deutungshoheiten.

Auch in Tutzing hatten die Organisatoren israelisch-palästinensische Friedensgruppen eingeladen. "Wir wollten mit denen reden, die in diesem verfahrenen Konflikt noch miteinander reden", sagt Jutta Höcht-Stöhr von der Evangelischen Stadtakademie München, die eine der Mitveranstalterinnen ist.

Zum Beispiel mit der Gruppe "Combatants for Peace", in der sich ehemalige israelische Soldaten und palästinensische Kämpfer zusammengetan haben - und gemeinsam um die Toten beider Seiten trauern. Für den regierungsnahen "NGO-Monitor" aus Jerusalem ist das schon ein Problem - die israelischen Soldaten seien Teil einer rechtsstaatlich kontrollierten Armee, die Kämpfer von PLO und Hamas dagegen Terroristen.

Doch sollten nicht wenigstens die miteinander reden, die nicht mehr schießen wollen? Andererseits: Die Israelis in diesen Gruppen kritisieren die Politik ihres Landes, die Palästinenser kritisieren die Politik Israels - und die Menschenrechtsverletzungen der Hamas und der PLO bleiben dabei oft unerwähnt. In der Westbank und erst Recht im Hamas-beherrschten Gaza-Streifen gibt es keine Meinungsfreiheit. Wer hier zu offen die Hamas oder die PLO kritisiert, riskiert sein Leben.

Am Ende dominierten die Israel-Kritiker das Programm

Gerade linke Gruppen tun wenig, um diese Asymmetrie zu beseitigen. Man redet viel über die israelische Besatzung und die bedrängten Palästinenser und wenig darüber, dass die islamistische Hamas die Vernichtung Israels zum Ziel hat und dass erst die Abriegelungsmauer die Selbstmordattentate in Israel stoppte.

Viele unterstützen die Boykottbewegung BDS ("Boykott, Investitionsentzug und Sanktionen"); sie fordert das Ende der "Kolonisation allen arabischen Landes" und ein Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge. Das hieße: Israel müsste auch Gebiete aus dem Krieg von 1948 zurückgeben, als die arabischen Armeen die Juden ins Meer treiben wollten. Die Juden würden zur Minderheit im Land, das Recht Israels auf Existenz wäre dahin. Kritiker halten deshalb die Bewegung für implizit antisemitisch.

"Das Konzept war in sich ja das Gegenteil von Boykott. Die Boykottdebatte wurde von außen an uns als Veranstalter herangetragen", sagt Jutta Höcht-Stöhr. Die Veranstalter lehnten "jede Art von Boykott und Gesprächsabbruch klar ab." Man habe bei der israelischen Botschaft angefragt, zugesagt habe zunächst ein Vertreter des israelischen Generalkonsulats, später dann jedoch abgesagt.

Das Programm dominierten am Ende die Israel-Kritiker, darunter renommierte Wissenschaftler wie der Jerusalemer Historiker Moshe Zimmermann - und umstrittene Autoren wie der ehemalige Sprecher der Knesset, Avram Burg. Er wirft Israel vor, die Shoah zu nutzen, um Kritik an der Besatzungspolitik zu verhindern. In Israel mag das ein Argument in der politischen Auseinandersetzung sein. In Deutschland ist es ein gängiges antisemitisches Klischee.

Und da ist Judith Bernstein. Sie ist jüdisch, hat in Israel gelebt, mit ihrem Umzug nach München wurde sie zur scharfen Gegnerin der Besetzung des Westjordanlandes. Judith Bernstein hat die palästinensisch-israelischen Gruppen nach Deutschland gebracht, sie lädt mit zur Tagung ein. Sie unterstützt die Boykottbewegung BDS, weil alles andere nichts geholfen habe.

Judith Bernstein schickt, um ihre Haltung zu erklären, einen Brief, den sie an Sigmar Gabriel geschrieben hat: Deutschland solle endlich Sanktionen gegen Israel verhängen. Inzwischen würden "jüdische Gemeinden, die jede Kritik an der israelischen Politik als Antisemitismus abtun", als "Komplizen der israelischen Regierung wahrgenommen". Das "Einknicken deutscher Institutionen" schüre "noch eher den Antisemitismus".

Neue antisemitische Semantik

Bei solchen Argumentationen merkt Monika Schwarz-Friesel auf. Die Antisemitismusforscherin der TU Berlin untersucht seit zehn Jahren Schreiben an den Zentralrat der Juden in Deutschland und an Israels Botschaft und hat eine "Israelisierung der antisemitischen Semantik" festgestellt. Der Brief an den Außenminister sei Beispiel dafür, "wie traditionelle antisemitische Argumente in der antizionistischen Szene benutzt werden: Die Juden sind selber schuld am Antisemitismus, würden sie sich anders verhalten, gäbe es keinen Antisemitismus mehr."

Solche Argumentationsweisen nähmen zu, "gerade in der Mitte der Gesellschaft", sagt Schwarz-Friesel. "Dabei kann man selbstverständlich die Politik der israelischen Regierung scharf kritisieren - ohne judeophobe Stereotype zu artikulieren. Warum aber benutzen heute gebildete Menschen Verbal-Antisemitismen, und sagen dann noch, sie täten es im Namen der Humanität?"

Judith Bernstein empfindet wiederum diese Einordnung als verletzend, "es geht mir auch um die Zukunft Israels", sagt sie, das würden ihre Kritiker aus der jüdischen Gemeinde verkennen.

Hat nun die Gemeinde gegen die Veranstaltung in Tutzing protestiert? Anruf bei Charlotte Knobloch, der Präsidentin der israelitischen Kultusgemeinde in München. Man habe von der Tagung "nur beiläufig" erfahren, sagt sie, und: "Unsachliche oder einseitige Kritik hat immer Folgen. Beim Thema Israel hat sich gezeigt, dass Einseitigkeit den israelbezogenen Antisemitismus befördert."

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Von anderen in der Gemeinde hört man auch Skepsis, ob man sich das Themas überhaupt annehmen sollte, eigentlich sei das ja gar nicht ihr Thema - wenn jemand die Politik in Israel kritisiere, habe das nichts mit der Kultusgemeinde in München zu tun. Andererseits: wenn dadurch der Antisemitismus in Deutschland gestärkt wird?

Anruf beim Akademiedirektor Udo Hahn in Tutzing. Der sagt: "Ich habe selber entschieden, die Tagung zu verschieben, da hat niemand Druck ausgeübt." Trotz aller Bemühungen sei am Ende eine "Schieflage" geblieben. Und dann sagt er noch: "Zwischen den verschiedenen Betroffenen und Interpretatoren des Nahostkonflikts Vermittler sein zu wollen", sei derzeit nicht erfolgversprechend.

Immerhin: Volker Beck hat einen Wochenendtermin weniger. Der grüne Bundestagsabgeordnete hätte in Tutzing gemeinsam mit Rudolf Dressler von der SPD und Ruprecht Polenz von der CDU in einer Diskussionsrunde gesessen. Ja, sagt er, das Programm erinnere auch ihn an einen "Feldgottesdienst der Israelkritiker", er hätte aber schon gerne diskutiert und gesagt, dass er den Gesprächsabbruch von Benjamin Netanjahu gegenüber Sigmar Gabriel so inakzeptabel findet wie die blinden Flecken vieler Palästina-Gruppen.

Dann sagt Beck noch, dass er sich wundere, mit welcher Obsession die Deutschen sich mit dem Nahostkonflikt beschäftigten - "warum nicht mit dem gleichen Engagement mit der Hungerkrise am Horn von Afrika oder dem vergessenen Konflikt in der Westsahara?" Und ja, sagt Volker Beck, auch unter den Juden in Deutschland sei die Empfindlichkeit gewachsen: "Das Bedrohungsgefühl hat zugenommen, Israel gilt vielen als Lebensversicherung, und wer Israel kritisiert, geht an diese Lebensversicherung."

Moshe Zimmermann, der Historiker aus Jerusalem, hat einen Protestbrief verfasst: Man müsse vermuten, dass "sich unsere deutschen Gastgeber an die Haltung der offiziellen israelischen Politik angepasst haben, die die Befürworter des Friedens für illegitim hält". Die Akademie habe "gegenüber den Hardlinern nachgegeben". Der Münchner jüdische Blog "Schlamassel.muc" zeigt auf einem Foto nazihörige "Deutsche Christen" und zieht mal locker eine Parallele zur Tagung in Tutzing und ihren Veranstaltern.

"Ich denke, wir finden ein neues Konzept und einen neuen Termin", sagt Akademiedirektor Hahn. Man hört es ihm an: So richtig glaubt er das nicht mehr.

© SZ vom 02.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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