Antisemitismus:Wir brauchen einen Diskursknigge zu Israel

Lesezeit: 2 Min.

Ein Mann mit israelischer Flagge steht im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, um der Holocaust-Opfer zu gedenken. Heute benutzen Isreal-Kritiker Nazivergleiche und sprechen vom Ghetto. (Foto: dpa)

Wichtig wie selten zuvor oder ein Hauptproblem im Nahostkonflikt: Israel spaltet die Gesellschaft. Die Seiten müssen lernen zu diskutieren.

Kommentar von Matthias Drobinski

Skandale bringen Ärger und Verdruss; das Gute an ihnen aber ist, dass ans Licht kommt, woran da Anstoß genommen wird. So hat auch die erst abgesetzte und nun doch gezeigte Arte-Sendung über den Antisemitismus in Europa bei allen handwerklichen Mängeln ihr Gutes: Die Frage nach dem linken und auch dem muslimischen Antisemitismus wird offen und breit diskutiert; auch, worin sich dieser von der legitimen, gar notwendigen Kritik an der Politik der israelischen Regierung unterscheidet.

Und noch etwas ist sichtbar geworden: Wie sehr sich der Blick der jüdischen Minderheit in Deutschland mittlerweile von der Mehrheit im Land unterscheidet; wie groß die Sorge dort geworden ist, das im Zweifel liberale und linke Bürgertum im Kampf gegen den Antisemitismus als Verbündeten zu verlieren.

"Maischberger" zu Antisemitismus-Doku
:"Haben Sie nicht!" - "Haben wir doch!"

Gibt es einen neuen Antisemitismus?, lautete die Frage in der Sendung "Maischberger". Anlass war eine umstrittene ARD-Dokumentation. Der Streit darum glitt zuweilen ins Absurde.

TV-Kritik von Matthias Drobinski

Der Riss, der sich da auftut, ist 50 Jahre alt; er entstand nach dem Sechstagekrieg von 1967, als Israel zur Besatzungsmacht wurde und die Sympathie für ein bedrohtes Land verlor. Für die Linke wurde Israel zur Marionette des amerikanischen Imperialismus und zum Unterdrückerstaat, die Palästinenser wurden zu Opfern und Freiheitskämpfern.

Für die Juden in Deutschland blieb Israel die Lebensversicherung, sollten Judenhass und Judenverfolgung zurückkehren; gegen den Vorwurf aus Israel, im Land der Mörder zu leben, wappneten sie sich mit besonderer Solidarität.

Israel gilt als Hauptproblem des Nahostkonflikts

Die Wahrnehmungen haben sich auseinanderentwickelt in den vergangenen Jahren: Für viele jüdische Gemeinden ist die Solidarität mit Israel das einigende Band, wenn durch die Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion die religiöse Einheit brüchig wird.

Die antisemitischen Demonstrationen während des Gaza-Krieges 2014, die Gewalt gegen kippatragende Juden oder das Mobbing gegen jüdische Schüler durch muslimische Mitschüler hat den Eindruck vieler Juden verstärkt: Nie war dieses Israel so wertvoll wie heute.

In der Mehrheitsgesellschaft hat es dagegen eine merkwürdige Verschiebung gegeben. Solidarität mit Israel ist zu einer Angelegenheit der Konservativen, gar der Rechten geworden, so sehr, dass jüdische Vertreter sich falsche Freundschaften verbitten müssen.

Von gemäßigt konservativ bis ganz links gilt mittlerweile Israel als Hauptproblem des Nahostkonflikts - dort fühlt man sich von der Antisemitismuskeule bedroht, wenn einer diese Selbstgewissheit hinterfragt. Dass die Regierung Netanjahu in Israel tatsächlich gerne ihre Kritiker aus dem Ausland als antisemitisch abtut, macht die Lage nicht einfacher.

Es gibt Menschen, die Israel kritisieren, weil das Land ihnen am Herzen liegt

Es bräuchte eine Art Diskursknigge, um Brücken über den Graben zu bauen. Warum nennen die Israel-Kritiker nicht einfach einen Rechtsbruch und eine Menschenrechtsverletzung, was sie sind: ein Rechtsbruch und eine Menschenrechtsverletzung? Warum muss man vom Ghetto reden und Nazivergleiche bemühen - weil man den Juden sagen will, dass sie die neuen Nazis sind?

Es erstaunt, wie leicht solche Vergleiche Deutschen immer wieder über die Lippen flutschen. Es erstaunt, wie wenig Sensibilität es gibt, wenn Boykottaktionen gegen Israel Ziele verfolgen, die das Existenzrecht des Landes infrage stellen würde. Es ist eigentümlich, mit welcher Obsession Israel zum Täterland stilisiert wird, wie den Juden erklärt wird, der Antisemitismus wäre weg, wenn sie sich nur etwas besser benehmen würden.

Andersherum gilt aber auch: Die meisten, die Israels Politik gegenüber den Palästinensern scharf und emotional kritisieren, sind keine Antisemiten. Es ist auch längst nicht alles antisemitisch, was einseitig daherkommen mag. Mehr noch: Es gibt Menschen, die Israel kritisieren, weil ihnen das Land am Herzen liegt und das Schicksal der Menschen dies- und jenseits der Mauern.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusAntisemitismus
:Weil du Jude bist

Ein 14-Jähriger wird von den Mitschülern so lange geschlagen, getreten und gemobbt, bis er seine Schule in Berlin verlässt. Das ist seine Geschichte.

Von Verena Mayer und Thorsten Schmitz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: