Antisemitismus unter Muslimen:"Der Hass ist völlig außer Kontrolle"

Antisemitismus unter Muslimen: Ahmad Mansour lebt seit neun Jahren in Deutschland und arbeitet in verschiedenen Projekten gegen Antisemitimus und Extremismus.

Ahmad Mansour lebt seit neun Jahren in Deutschland und arbeitet in verschiedenen Projekten gegen Antisemitimus und Extremismus.

(Foto: Privat)

Antisemitismus und Verschwörungstheorien gehören in manchen muslimischen Familien zur Erziehung, sagt der Palästinenser Ahmad Mansour, der in Berlin gegen die Radikalisierung von Muslimen kämpft. Er befürchtet, dass der Hass gegen Juden in Gewalt umschlagen könnte.

Von Antonie Rietzschel

Ahmad Mansour ist als Palästinenser in Israel aufgewachsen. Der Hass auf Juden war Teil seiner Kindheit und Jugend. Vor neun Jahren kam er nach Deutschland. Heute lebt der 38-jährige Diplom-Psychologe in Berlin und berät zivilgesellschaftliche Initiativen zum Thema im Umgang mit Radikalisierung und Antisemitismus bei Muslimen.

SZ.de: Während einer Anti-Israel-Demonstration in Berlin wurden Juden von Muslimen als "feige Schweine" beschimpft. Auch in anderen Städten wurden antisemitische Parolen laut. Woher kommt dieser Hass?

Ahmad Mansour: Er ist Teil der Erziehung in manchen muslimischen Familien - auch in Deutschland. Über Generationen hinweg wird den Kindern in diesen Familien das Gefühl vermittelt, überall auf der Welt würden Muslime unterdrückt. Schuld daran sei "der Jude". Er tue alles, um den Islam zu bekämpfen. Der aktuelle Konflikt in Nahost lässt Hass und Aggressivität offen aufbrechen. Gleichzeitig eint er die verschiedensten muslimischen Gruppen.

Warum?

Was in den vergangenen Jahren in der muslimischen Welt passiert ist, verunsichert Gläubige weltweit: In Syrien oder dem Irak kämpfen Muslime gegeneinander, das passt nicht in das Schwarz-Weiß-Denken. Einigen kommt dieser Konflikt in Nahost gerade recht, um sich auf das klare Feindbild des "Juden" konzentrieren zu können. Wenn Sie sich das Video von der Demonstration in Berlin anschauen, sehen sie Anhänger der Hamas, Salafisten, Sunniten, Schiiten. Gruppen finden zusammen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben.

Doch keiner schreitet ein, als die Beschimpfungen losgehen.

Das zeigt, wie tief verwurzelt der Antisemitismus eigentlich ist.

Unter den antiisraelischen Demonstranten sind viele junge Männer und Frauen ...

Gerade die sind besonders aggressiv und machen einen großen Anteil aus. Für sie sind die Proteste eine legitime Art, ihre Aggressivität auszuleben. Seit ihrer Kindheit wurde diesen jungen Menschen das Feindbild mitgegeben, unter anderem durch ihre Eltern, Freunde und Bekannte aber auch in Moscheen und Koranschulen. Im heimischen Wohnzimmer schauen sie arabische Sender, die sie mit Propaganda zuschütten.

Welche Rolle spielen soziale Netzwerke bei der Verbreitung von Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland?

Besonders für die Jüngeren ist Facebook die wichtigste Informationsquelle. Das ist zum Teil reine Hetze, die da betrieben wird. Es gibt in diesen Beiträgen keine Unterscheidung zwischen Israelis und Juden. Stattdessen sind schreckliche Videos zu sehen, nach dem Motto: Schau mal was "der Jude" wieder gemacht hat. Wenn man sich aber näher mit den Aufnahmen beschäftigt, wird klar, dass die oft eigentlich aus Syrien oder dem Irak stammen. Kritische Stimmen gibt es in der Netzdebatte kaum - und wenn sich jemand traut, dagegenzuhalten, wird er niedergemacht, gemobbt und diffamiert.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Eine muslimische Frau hatte sich an einer Diskussion beteiligt. Die Hamas habe auch Mitschuld an dem, was in Gaza passiert, schrieb sie. Daraufhin wurde sie als Hure beschimpft. Sie solle von einem Juden vergewaltigt werden, hieß es in einem Kommentar. Auch Israelis sind auf Facebook aktiv, einige suchen aktiv Streit. Sie müssen damit rechnen, dass ihnen mit Vergasung gedroht wird.

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