Antisemitismus:Tödliche Gerüchte

Antisemitismus: Darstellung des angeblichen Ritualmords an dem Kleinkind Simon von Trient im Jahr 1475

Darstellung des angeblichen Ritualmords an dem Kleinkind Simon von Trient im Jahr 1475

(Foto: Quelle: Wikimedia Commons)

Sie stammen aus dem Mittelalter, noch immer werden sie in dubiosen Blogs und einschlägigen Foren verbreitet: antijüdische Verschwörungstheorien. Eine Übersicht der schlimmsten Gerüchte.

Von Benedikt Herber

Ritualmorde

Die Ritualmordlegende ist eines der ältesten judenfeindlichen Gerüchte. Ursprünglich ist sie nicht antisemitisch, sondern antijudaistisch - der Hass wendet sich nicht gegen Juden als "Rasse" (wie später bei den Nazis), sondern als Glaubensgemeinschaft. Der Antijudaismus war besonders im Mittelalter verbreitet.

Die Legende besagt, dass ein christlicher Knabe einmal jährlich während der Osterzeit von Juden geopfert werde - aus Hass auf Jesus Christus. Später wurde sie um die Behauptung ausgeweitet, sie würden das Blut ihrer Opfer trinken. Ungeklärte Todesfälle nutzte man im Mittelalter immer wieder zum Vorwand für antijüdische Pogrome.

Auch die Nazis übernahmen das Motiv der Ritualmorde für ihre Hetze. Julius Streicher, der Herausgeber der antisemtischen Wochenzeitung Der Stürmer, verarbeitete es in Karikaturen, in denen die Juden als "Blutsauger" verunglimpft wurden. Fand man Leichen von Kindern - wie 1929 die des Jungen Karl Kessler in Unterfranken - wurden sie schnell verdächtigt, diese getötet zu haben.

Wie gefährlich die Gerüchte für die Juden auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch waren, zeigt das Beispiel des Pogroms von Kielce in Polen. Eigentlich wollten die polnischen Juden, die den Holocaust überlebt haben, von vorne anfangen. Doch schon ein Jahr nach Kriegsende löste ein Gerücht über ein getötetes christliches Kind eine Gewaltwelle aus, bei der mehr als 40 jüdische Bürger getötet wurden.

Brunnenvergiftung

Antisemitismus: Darstellung der Judenpogrome von 1349 in der flandrischen Chronik Antiquitates Flandriae (Bibliothèque Royale Albert Ier, Brüssel, ms. 13076/77)

Darstellung der Judenpogrome von 1349 in der flandrischen Chronik Antiquitates Flandriae (Bibliothèque Royale Albert Ier, Brüssel, ms. 13076/77)

(Foto: Quelle: Wikimedia Commons)

Im 14. Jahrhundert forderte die große europäische Pestepidemie 25 Millionen Todesopfer, etwa ein Drittel der Bevölkerung Europas. Die Ärzte standen der Krankheit hilflos gegenüber, eine medizinische Erklärung für die Seuche gab es noch nicht. So verbreitete sich das Gerücht, Juden könnten dafür verantwortlich sein - als gesellschaftliche Außenseiter eigneten sie sich ideal als Sündenböcke. Man unterstellte ihnen, die Brunnen vergiftet zu haben.

In der Folge wurden hunderttausende Juden in ganz Europa ermordet - die größte antijüdische Pogromwelle bis zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Mythos der Brunnenvergifter existierte auch nach der Pest in den Köpfen vieler Menschen weiter und wurde zu einem klassischen Fall antijüdischer Verschwörungstheorien.

Finanzjudentum

Antisemitische Karikatur, 1943

Antisemitische Karikatur, 1943: Ein Jude, als habgieriger Geschäftsmann dargestellt.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

In verschwörungstheoretischen Foren wird noch heute über den schier unbegrenzten Einfluss der Rothschilds und anderer jüdischer Bankiersfamilien schwadroniert. Der Stereotyp des raffgierigen Juden, der mit Finanzgeschäften hinter den Kulissen die Geschicke der Welt lenkt, ist schon sehr alt - sein Ursprung findet sich ebenfalls im Mittelalter.

Zu dieser Zeit blieb jüdischen Bürgern oft keine andere Erwerbsmöglichkeit als der Geldverleih, da sie aus der Ordnung des Zunftsystems ausgeschlossen wurden, das nur Christen offen stand. Das führte dazu, dass man das Judentum schnell mit Finanzgeschäften verband - und ihnen Wucherei unterstellte.

Die Wirtschaftswissenschaftler Werner Sombart und Gottfried Feder führten Anfang des 19. Jahrhunderts die Unterscheidung von "schaffendem" Industriekapital und "raffendem" Finanzkapital ein. Mit letzterem wurde das "Finanzjudentum" diffamiert. Auf der einen Seite stand der "gute", wertschöpfende Kapitalismus, auf der anderen die "jüdisch-internationale Hochfinanz". Adolf Hitler griff die Termini auf und beschrieb das Finanzkapital als "Kapital, dessen Existenz ausschließlich auf Spekulation" beruhe.

Der Vorwurf, Geldgeschäfte hätten keinen gesellschaftlichen Nutzen - Juden bereicherten sich auf Kosten des Volkes - wurde mit der Vorstellung vermengt, die Politik sei dieser Finanzelite hörig, es existiere demnach nur eine Scheindemokratie. Besonders in einem globalisierungskritischen Kontext ist dieser Vorwurf weiterhin populär, auch wenn das Judentum oft nicht mehr explizit, sondern in Chiffren genannt wird (zum Beispiel "Hochfinanz" oder "Ostküste"). In diesem Zusammenhang wird in der Antisemitismusforschung von "strukturellem Antisemitismus" gespochen.

"Protokolle der Weisen von Zion"

Antisemitismus: Das Deckblatt einer 1934 erschienenen amerikanischen Ausgabe der Protokolle von Zion

Das Deckblatt einer 1934 erschienenen amerikanischen Ausgabe der Protokolle von Zion

(Foto: Quelle: Wikimedia Commons)

Kaum ein Schriftstück hat wohl einen so großen Einfluss auf den modernen Antisemitismus wie die "Protokolle der Weisen von Zion". Das angebliche Geheimdokument - eine Fälschung - wurde vom russischen Geheimdienst "Ochrana" um 1900 zusammengeschustert und sollte das Zarenreich stabilisieren.

Der Text suggeriert, das Protokoll eines geheimen Treffens jüdischer Führer zu sein, die einen Plan aufstellten, die Weltherrschaft zu übernehmen. Indem man eine gesellschaftliche Liberalisierung vorantreibe, wolle man eine neue Weltordnung schaffen, an dessen Ende die eigene Machtübernahme stehe.

Die NSDAP nutzte die "Protokolle der Weisen von Zion" für die eigene antisemitische Propaganda. 1921 verteilte sie Flugblätter, um über den angeblichen Skandal aufzuklären. In den 1930er Jahren wurde das Pamphlet immer wieder aufgelegt und floss in Hitlers Pamphlet "Mein Kampf" ein.

Dabei muss den Nazis eigentlich klar gewesen sein, dass es sich bei den "Protokollen" um eine Fälschung handelte. In weiten Teilen glich das Werk nämlich "Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu", einer satirischen Schrift von Maurice Joly aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die von der Intention ins Gegenteil verkehrt wurde.

Bereits 1921 wurde das Plagiat vom Times-Korrespondent Philip Graves entlarvt. So äußerte auch Joseph Goebbels seine Zweifel an der Echtheit der "Protokolle", wies aber darauf hin, dass sie sich für Propaganda als sehr brauchbar erweisen würden.

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