Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus-Streit der Linken:Gysi und die Antizionisten: Eine Frage des Überlebens

Der Antisemitismus-Streit der Linken führt zum Kern aller Probleme der noch immer relativ frisch vereinigten Partei. Für Gregor Gysi geht es nicht nur um das selbstverständliche Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, sondern auch um die Existenz seiner Partei.

Daniel Brössler

Glaubt man der Linken, so widerfährt der Partei dieser Tage ungeheures Unrecht. Den Vorwurf des Antisemitismus, zuletzt vom Zentralrat der Juden erhoben, weist sie empört zurück. Sie tut dies auch mit Verweis auf Erklärungen, in denen sich die Partei und deren Bundestagsfraktion gegen jegliche Form des Judenhasses gewandt haben. Diese Erklärungen gibt es. Misstrauisch jedoch macht, wie viel Unruhe sie in der Partei gestiftet haben. Ein Teil der Linken besteht auf dem Recht, zum Boykott israelischer Waren aufzurufen und sich im Protest auch mit Israel-Hassern zusammenzutun.

Insbesondere Fraktionschef Gregor Gysi hat versucht, seinen Leuten klarzumachen, dass Kritik an Israel auch für linke Deutsche nach dem Holocaust nicht in jeder Form zulässig ist. Am harten Kern der westdeutschen Traditionslinken ist er mit dieser Argumentation gescheitert. Aus zwei Gründen: Erstens ist die Abneigung gegen Israel als Vorposten des Westens für diese Gruppe identitätsstiftend. Zweitens hat sie sich eingerichtet im guten Gefühl, auf der linken Seite müsse man keine Verantwortung tragen für die Verbrechen der Nazis.

Der Antisemitismus-Streit führt daher zum Kern aller Probleme der immer noch relativ frisch vereinigten Partei. In ihr sammeln sich ostdeutsche Pragmatiker und westdeutsche Gewerkschafter, aber auch Kräfte vom äußersten linken Rand der alten Bundesrepublik. Innerhalb der Partei haben sie viel Einfluss gewonnen. Ihn zurückzudrängen wird für die Linke zur Überlebensfrage. So gesehen geht es für Gysi im Kampf gegen die eingefleischten Antizionisten nicht nur um das selbstverständliche Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, sondern auch um die Existenz seiner Partei.

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Quelle:
SZ vom 21.06.2011
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