Süddeutsche Zeitung

Rechtsextremismus:Judenhass ohne Konsequenz

Neonazis äußern öffentlich üble antisemitische Schmähungen. Ein Paar stellt Strafanzeigen, doch die Staatsanwaltschaft Braunschweig stellt ihre Ermittlungsverfahren ein - und das nicht nur in einem Fall.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Bernadette Gottschalk reagierte, als sie von der geplanten Kundgebung der Neonazis erfuhr. Für den 24. November 2020, ein gutes Jahr nach dem Anschlag in Halle, hatte die Partei "Die Rechte" eine sogenannte Mahnwache angemeldet - nahe der Braunschweiger Synagoge, die in der Reichspogromnacht zerstört worden war. Das Motto der Kundgebung sollte "Freiheit für Palästina - Menschlichkeit ist nicht verhandelbar! Zionismus stoppen!" lauten. Als Zeitraum der später abgesagten Veranstaltung wurde "19.33 bis 19.45" Uhr angegeben.

Noch Zweifel? "Ein deutlicher Verweis auf die Judenverfolgung und den Holocaust in den Jahren 1933-1945 gerade in Verbindung mit Stopp Zionismus", schrieb Bernadette Gottschalk aus Laatzen bei Hannover an die Braunschweiger Staatsanwaltschaft. "Durch die damalige Judenverfolgung sollte der Zionismus gestoppt werden und zwar durch einen umfassenden Völkermord." Sie erstattete Strafanzeige. "Ich bin Jüdin und sehe in dieser Anmeldung einen Angriff auf mein Judentum." Ein Großteil der Familie der pensionierten Pädagogin Gottschalk war in Auschwitz ermordet worden, auch ihre Großeltern.

Knapp zwei Wochen später bekam Bernadette Gottschalk Post von der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Man habe den Sachverhalt geprüft, hieß es in dem Schreiben einer Ersten Staatsanwältin. Es seien keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten festzustellen, es begründe "insbesondere nicht den Anfangsverdacht einer Volksverhetzung". Sie habe das Verfahren daher eingestellt.

Bernadette Gottschalk erhob Einspruch, unterstützt von ihrem Mann, dem Juristen Joachim Gottschalk. Seit vielen Jahren kämpfen die beiden gegen Antisemitismus, der mal verschleiert daherkommt, "subkutan" oder "dahergeschlichen", wie Joachim Gottschalk es am Telefon nennt, oder eben brachial. In einem Brief baten sie die Erste Staatsanwältin um eine genauere Begründung für die eingestellten Ermittlungen gegen "Die Rechte" und erinnerten unter anderem an die Ausgrenzung und Deportation von Juden im Nationalsozialismus. "Zionismus stoppen wie 1933 bis 1945" bedeute der Titel der Anmeldung doch im Klartext. "Das ist purer Judenhass."

"Feuer und Benzin" für die "Judenpresse"

Das Ehepaar Gottschalk wendete sich auch an Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza , CDU, und berichtete von diesem und anderen Fällen. Denn Braunschweigs Staatsanwaltschaft hatte auch Klagen wegen Beleidigungen bei einem Aufmarsch von Rechtsextremen am Volkstrauertag 2020 abgewiesen. Ein Funktionär der Partei "Die Rechte" soll Journalisten dabei als "Judenpresse" und "Pack" bezeichnet und von "Feuer und Benzin für euch" gesprochen haben. Die Gottschalks fügten unter anderem ein Titelblatt des NS-Kampfblattes "Der Stürmer" von 1934 an. Meinungsfreiheit? Die Bezeichnung "Judenpresse" sei seit mehr als hundert Jahren antisemitisch konnotiert.

Sie regten an zu prüfen, "ob bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig die Zuständigkeit einzelner Personen zu verändern ist". Die Staatsanwaltschaft Braunschweig vermittle ihnen den Eindruck, als ob sie "die Justizpolitik von Herrn Erich Topf von 1951 fortsetzen" wolle. Topf weigerte sich damals, den Nazi und Volksverhetzer Otto Ernst Remer anzuklagen, das übernahm dann der damalige Braunschweiger Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, einer der nachmals bedeutendsten und mutigsten Juristen Deutschlands.

Am 24. Februar 2021 erhielt Bernadette Gottschalk eine Nachricht von der aktuellen Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig, Fritz-Bauer-Platz 1. Zwei Sätze. Satz eins: Man habe auf ihre Beschwerde hin den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Braunschweig aufgehoben "und diese gebeten, die Ermittlungen aufzunehmen". Satz zwei: "Sollte das Verfahren erneut eingestellt werden, werden Sie von dort einen gesonderten Bescheid erhalten."

Ausgang ungewiss. Bernadette und Joachim Gottschalk lassen nicht locker, obwohl sie ihr Einsatz gegen Antisemitismus und Geschichtsvergessenheit Kraft kostet. Nach ihren Anzeigen laufen Verfahren wegen einer AfD-Collage in Salzgitter, in der aus "Arbeit macht frei" an einem KZ-Tor "Impfen macht frei" wurde, und wegen antijüdischer Geschichtsklitterung bei einer Ausstellung in Wolfenbüttel bis 2020. "In der Mitte der Gesellschaft liegt der Kern des Problems", sagt Joachim Gottschalk. Aber seine Frau und er geben nicht auf, trotz allem.

Ende Februar stand gegen zehn Uhr abends ein Umschlag mit Schriften der Partei "Die Rechte" vor ihrer Tür.

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