Antisemitismus-Konferenz:"Vorurteile schon in der Kindheit eingeimpft"

Der OSZE-Vorsitzende Solomon Passy hat Bildung als Schlüssel für die Bekämpfung von Antisemitismus bezeichnet. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, warnte vor einer traditionellen Judenfeindlichkeit in Osteuropa. Zuvor hatte Bundespräsident Rau erklärt, es gebe "Anlass zur Sorge", dass im Jahre 2004 überhaupt noch eine Konferenz zu diesem Thema stattfinden müsse.

Auf der Antisemitismus-Konferenz der OSZE sagte Bundesaußenminister Joschka Fischer, die Bundesregierung habe zu der Konferenz in jene Stadt eingeladen, in der vor fast 70 Jahren die Vernichtung des europäischen Judentums geplant und ins Werk gesetzt worden sei.

Die Erinnerung an dieses monströse Verbrechen gegen die Menschheit werde die deutsche Politik auch künftig bestimmen.

Bei der Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland gehe es nicht nur um den Schutz der jüdischen Mitbürger, sondern es gehe immer auch um den Kern der bundesdeutschen Demokratie, betonte Fischer. Die Bundesregierung sei in diesem Punkt unerbittlich und unnachgiebig.

Dass die Konferenz von allen 55 OSZE-Staaten gestaltet werde, sei ein Zeichen dafür, dass Antisemitismus kein Problem der anderen sei, sondern alle angehe, erklärte der Außenminister. Dies sei die erste wichtige Botschaft der Konferenz.

Bekämpfung des Antisemitismus geht jeden an

Die zweite Botschaft sei, dass die Bekämpfung des Antisemitismus keine Sache nur von Regierungen und Parlamenten sei, sondern die Zivilgesellschaft und jeden Einzelnen angehe. Das beweise die Anwesenheit zahlreicher Nichtregierungsorganisationen auf der Konferenz.

Solange sich jüdische Menschen in den Staaten Europas nicht sicher fühlten und Politiker mit antisemitischen Ressentiments auf Stimmenfang gingen, bleibe diese Aufgabe bestehen.

Laut Fischer soll die Konferenz jede Form des Antisemitismus als Verletzung der Menschenwürde verurteilen, eine europaweite genaue Beobachtung und Registrierung antisemitischer Vorfälle beschließen, um dagegen vorgehen zu können, und alle OSZE-Staaten politisch verpflichten, sich öffentlich mit allen Formen des Antisemitismus auseinander zu setzen.

Jeder Staat und jeder Bürger in der OSZE sollte wissen, dass er an seinem Umgang mit jüdischen Menschen gemessen werde.

"Öffentlich mit antisemitischen Vorurteilen auseinandersetzen"

Zuvor hatte Bundespräsident Johannes Rau gefordert, niemand dürfe "vor Rassismus, vor Fremdenfeindlichkeit und vor Antisemitismus die Augen verschließen". Es genüge nicht, "Einstellungen und Äußerungen als 'rassistisch' oder 'antisemitisch' zu brandmarken".

Wichtiger sei es, dass "wir uns öffentlich mit rassistischen und antisemitischen Vorurteilen auseinandersetzen und ihnen inhaltlich entgegentreten". Das Thema der Konferenz gebe "Anlass zur Sorge". Es sei nicht gut, dass im Jahre 2004 eine Konferenz zu diesem Thema stattfinden müsse, betonte Rau.

Mit Blick auf den Nahostkonflikt sagte Rau, in den jüngsten Debatten über Antisemitimus habe dieser Konflikt und die Politik der israelischen Regierung eine "wichtige Rolle gespielt". Hinter mancher Kritik an der Politik der israelischen Regierung habe "massiver Antisemitismus" gesteckt. "Auch hier brauchen wir besondere Wachsamkeit und besondere Sorgfalt."

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, warnte anlässlich der EU-Erweiterung vor einem traditionellen Antisemitismus in Osteuropa, dem mit grenzüberschreitenden Aktionen begegnet werden müsse. Der Kampf gegen Judenfeindlichkeit werde nun noch schwieriger und langwieriger.

Der bulgarische Außenminister Solomon Passy und derzeitige OSZE-Vorsitzende nannte Bildung als Schlüssel für die Bekämpfung von Antisemitismus. "Vorurteile werden schon in der Kindheit eingeimpft."

Der Friedensnobelpreisträger und Holocaust-Überlebende Elie Wiesel bezeichnete Antisemitismus als "ansteckende Krankheit". Wiesel sagte: "Wenn Auschwitz den Antisemitismus nicht töten konnte, was dann?"

An der OSZE-Konferenz, deren Gastgeber Deutschland ist, nahm auch US-Außenminister Colin Powell teil. Außerdem wurde Israels Präsident Mosche Katzav aus Anlass der Konferenz in Berlin erwartet.

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