Antisemitismus:In unserem Land

Von Paragrafen sollte man im Kampf gegen Judenhasser nicht zu viel erwarten. Es kommt dabei vor allem auf Gesittung, Ethos und immerwährende Aufklärungsarbeit an.

Von Detlef Esslinger

Jetzt sind alle sehr entsetzt, jetzt will jeder zeigen, dass er auf der richtigen Seite steht. Aus den Erklärungen von Politikern der vergangenen Tage: "Wir akzeptieren nicht, wenn Juden oder der Staat Israel auf diese beschämende Weise beleidigt werden." - "Der Staat muss mit allen Mitteln des Rechtsstaates einschreiten." - "Wir werden Antisemitismus niemals dulden." - "Wer israelische Fahnen in Brand steckt, verbrennt unsere Werte."

Es ist richtig, dass solche Sätze gesprochen werden; man muss sich ja nur vorstellen, wie ungeheuerlich das Gegenteil gewesen wäre: wenn einfach so hingenommen würde, dass Demonstranten in Deutschland auf einer israelischen Fahne und auf dem Davidstern herumtrampeln, wenn einige sie sogar verbrennen. Was aber folgt aus diesen Worten?

Das Bekümmernde ist, dass ein Streit um die Politik des Staates Israels fast nie nur ein solcher Streit bleibt. Einige Kritiker der Regierung dort wählen Formulierungen, mit denen sie antisemitische Stereotype bedienen wollen. Dazu gehören all diejenigen, welche die sogenannte BDS-Kampagne unterstützen - wer zum Boykott von Waren aus Israel aufruft, dürfte einkalkulieren, in wessen Nachfolge er steht: Am 1. April 1933 begannen die Nazis mit dem Aufruf "Kauft nicht bei Juden!" die Verfolgung. Allerdings werden auch Autoren, denen es nur um Kritik an der israelischen Regierung geht, gern in diese Ecke gedrängt - um sich nur ja nicht mit den Argumenten gegen die Siedlungspolitik befassen zu müssen. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der Israel "Apartheidpolitik" vorwarf, ist so wenig ein Antisemit wie der Publizist Jakob Augstein, den das Simon-Wiesenthal-Zentrum als solchen diffamierte; sie sind halt beide gelegentlich Schwätzer.

Darüber hinaus gibt es die unverstellten Antisemiten; sie haben sich bei den Demonstrationen der vergangenen Tage gezeigt. Sie sind nicht nur widerwärtig, sondern letztlich auch Trumps und Netanjahus besonders nützliche Idioten: Sobald sie ihren Hass ausleben, redet niemand mehr über die Zündelei, die es bedeutete, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen - und auch nicht über die Schuld, welche die Regierung dort seit Langem auf sich lädt. Die Pointe ist, dass Netanjahu ausgerechnet in dem Bewohner des Weißen Hauses seinen besten Verbündeten zu haben glaubt, der vor einem halben Jahr unter amerikanischen Nazis noch "sehr feine Leute" erblickte.

Paragrafen können nicht kompensieren, was an Ethos fehlt

Doch wie soll der Rechtsstaat mit Antisemiten umgehen - mal einheimischen, mal vor Kurzem zugewanderten -, die ihre Gesinnung auf die Straße tragen? Vokabeln wie "Wir akzeptieren nicht" oder "mit allen Mitteln" sind schnell gesprochen - aber sie wecken Erwartungen, die der deutsche Rechtsstaat eigentlich gar nicht wecken und erst recht nicht erfüllen will. Dass die Versammlungsfreiheit in der Verfassung unter den Grundrechten steht, ist eine der Lehren, die deren Schöpfer aus der Hitlerei gezogen haben. Um eine Kundgebung zu verbieten, braucht es Anhaltspunkte, die so handfest sein müssen, dass es sie so gut wie nie gibt. Kein Versammlungsleiter wird vorher mitteilen, dass Parolen geplant sind, die seiner Demo ein rechtsextremes oder antisemitisches Gepräge gäben. Und im Nachhinein? Wer das Verbrennen selbstgebastelter Flaggen bestrafen will, müsste zunächst die Rechtsvorschrift dazu schaffen - und braucht dann Richter, die sie konsequent anwenden. Dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, zeigte sich neulich am Landgericht Frankfurt. Es urteilte, für einen Israeli sei es "nicht unerträglich", wenn Kuwait Airways seine Mitnahme verweigere. Ein Rechtsstaat schafft nicht per se das Klima, in dem Antisemiten Ächtung zu befürchten haben. Was einem Teil der Bürger an Gesittung oder Ethos fehlt, kann nur selten durch Paragrafen kompensiert werden. Es ist traurig, dass ein jüdischer Vater in Frankfurt seine zehnjährige Tochter anflehen muss, bloß nicht den Davidstern an der Halskette zu ragen. Es ist traurig, dass Charlotte Knobloch, die bekannteste Repräsentantin der Juden in Deutschland, selbst mit ihren 85 Jahren noch auf Personenschutz angewiesen ist. Es ist eine immense Aufgabe, Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak klarzumachen, was für einer menschenverachtenden Propaganda sie aufgesessen waren.

"Genauso wie Muslime als Minderheit erwarten, dass andere sich für sie einsetzen, wenn sie diskriminiert oder angegriffen werden, müssen sie ihre Stimme viel lauter erheben, wenn Juden in unserem Land bedroht werden." Gesittung eben; unter anderem das ist es, worauf es ankommt, in unserem Land. Dies hat am Dienstag Sawsan Chebli gesagt, die Staatssekretärin im Land Berlin und Tochter palästinensischer Flüchtlinge ist.

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