Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus:Synagoge in Hannover beschädigt

An Jom Kippur, dem höchsten Feiertag im Judentum, haben Unbekannte ein Fenster des Gebäudes eingeschlagen. Die Polizei ermittelt, offizielle Stellen sind bestürzt.

Von Léonardo Kahn

"Das Klirren hat in der Synagoge jeder gehört", erzählt Arkadij Litvan der Süddeutschen Zeitung am Telefon. Mitten im Gebet am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur am Mittwochabend hat ein Unbekannter womöglich ein Bleiglasfenster eingeschlagen. Nun klafft ein DIN-A4-großes Loch in sechs Meter Höhe, blaue Scherben liegen auf dem Boden. Niemand wurde verletzt.

Litvan, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Hannover im Stadtteil Bult, ist schockiert über einen möglichen Anschlag auf seine Synagoge. "In den dreißig Jahren seitdem ich in Hannover wohne, wurde meine Gemeinde noch nie angefeindet", erklärt der gebürtige Ukrainer. Es möge die erste und letzte Attacke sein.

Jom Kippur fällt von Jahr zu Jahr auf unterschiedliche Daten im September oder Oktober. Rabbiner und Bischof zeigen sich bestürzt über den möglicherweise antisemitischen Anschlag. "Es ist schockierend und traurig zugleich, wie trotz Sicherheitsvorkehrungen immer unverhohlener und hemmungsloser jüdisches Leben mitten in Deutschland angegriffen wird", erklärt die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland in München. Der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche Hannover, Ralf Meister, sagt, es sei "unerträglich", dass Jüdinnen und Juden bei der Ausübung ihrer religiösen Praxis bedroht würden.

Auch Politiker verurteilen die Tat. "Dieser Angriff auf die Synagoge in Hannover am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ist entsetzlich und schockierend", sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien sagt der Deutschen Presse-Agentur: "Jüdinnen und Juden sollen sich in Deutschland nicht jedes Jahr aufs Neue fürchten müssen, an Feiertagen eine Synagoge zu besuchen."

Vor drei Jahren hatte an Jom Kippur in Halle in Sachsen-Anhalt ein schwer bewaffneter rechtsextremer und antisemitischer Attentäter versucht, in der vollbesetzten Synagoge der Jüdischen Gemeinde Dutzende Menschen zu töten. Er warf am 9. Oktober 2019 Brand- und Sprengsätze und schoss auf die Zugangstür, gelangte aber nicht auf das Gelände, weil die Tür dem Angriff standhielt. Vor der Synagoge erschoss er eine Passantin, in einem nahegelegenen Döner-Imbiss einen 20-Jährigen. Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte den Täter zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Von der Wurfattacke auf die Synagoge lasse sich die Jüdische Gemeinde Hannover jedoch nicht beeindrucken, versichert Arkadij Litvan. Am Donnerstagnachmittag werden sich die Mitglieder wieder an der Synagoge treffen, um gemeinsam die "Sukka" zu bauen, eine Art Laubhütte. Denn fünf Tage nach Jom Kippur beginnen die sogenannten "Sukkot"-Feiertage, die eine Woche andauern. Vorstandsmitglied Litvan stören die vielen Polizeibeamten und Journalisten vor Ort zwar, aber es sei wichtig, so viele Hintergründe über den Vorfall zu erfahren wie möglich. Für ihn stehe fest: Die Jüdische Gemeinde in Hannover werde weitermachen wie zuvor.

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