Rias-Studie:1083 antisemitische Vorfälle 2018 in Berlin

Antisemitismus

Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind an einer Gedenkstätte in Berlin zu sehen.

(Foto: dpa)
  • In Berlin ist die Anzahl antisemitischer Vorfälle im vergangenen Jahr um 14 Prozent gestiegen.
  • Besorgniserregend sei vor allem das gestiegene Gefährdungspotenzial für die Betroffenen, heißt es von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus.
  • Den Vorwurf, muslimische Zuwanderer importierten Antisemitismus, weist der Projektleiter zurück.

Hier ein Gürtelangriff auf einen Kippaträger, dort eine Drohmail an ein jüdisches Restaurant: Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) beklagt eine starke Zunahme judenfeindlicher Vorfälle in Berlin. Die Anzahl sei im vergangenen Jahr um 14 Prozent gestiegen. Insgesamt wurden 2018 demnach 1083 antisemitische Vorfälle in der Bundeshauptstadt erfasst, 132 mehr als im Vorjahr.

Häufiger als in den Jahren davor habe der Antisemitismus dabei verrohte Formen angenommen und sei direkter geworden, sagte Rias-Projektleiter Benjamin Steinitz bei der Vorstellung des Jahresreports. Es sei eine zunehmende Bereitschaft festzustellen, "antijüdische Aussagen mit konkreten Gewaltandrohungen zu verbinden oder Gewalt folgen zu lassen."

Besorgniserregend sei der deutliche Anstieg von Vorfällen mit besonderem Gefährdungspotenzial für die Betroffenen. Die Anzahl antisemitischer Angriffe erhöhte sich um 155 Prozent von 18 auf 46, die Zahl der Bedrohungen stieg um 77 Prozent von 26 auf 46. Von den Attacken waren 86 Personen betroffen, davon mindestens 13 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren.

Zudem registrierte die Recherchestelle auch einen Anstieg bei schriftlichen oder mündlichen Anfeindungen, Propaganda oder Veranstaltungen mit antisemitischen Inhalten. Hier wurden 831 Fälle dokumentiert, ein Anstieg von 22 Prozent. Die Bereitschaft, gegen Juden, Kritiker antisemitischer Äußerungen oder politische Gegner Gewalt auszuüben, sei erkennbar gestiegen. Diese Entwicklung sei für viele Betroffenen bereits alltagsprägend.

Steigt die Zahl antisemitischer Vorfälle, dann auch die der Opfer. Rias zählte im Vorjahr 368 Betroffene - fast drei Viertel mehr als 2017. Mit 187 waren über die Hälfte davon jüdisch, doch auch zahlreiche nichtjüdische Personen, die sich gegen Antisemitismus oder Rechtsextremismus aussprachen, wurden angefeindet.

Als Beispiele nannte Steinitz einen Mann, dem von Fußballfans aus Mönchengladbach ins Gesicht geschlagen wurde, nachdem er von ihnen als "Du Jude" beschimpft wurde und diese Äußerung kritisiert hatte. Ein Spätkaufverkäufer in Berlin-Neukölln bewarf eine jüdische Frau mit Kronkorken, als er ihren Davidstern-Schlüsselanhänger erblickte und beschimpfte sie als "Judenschlampe". Eine Gruppe von Personen wurde im April 2018 auf dem Weg zur Demonstration "Berlin trägt Kippa" bespuckt, getreten und mit "Verpisst Euch, Ihr Juden" beschimpft. Ein Mann las in der U-Bahn die "Jüdische Allgemeine, woraufhin ihm ein Fahrgast auf die Zeitung schlug.

Forscher sehen Strategie, Antisemitismus für eigene Zwecke zu nutzen

Den Vorwurf, etwa von der AfD, muslimische Zuwanderer importierten Antisemitismus, wies Projektleiter Steinitz zurück. "Wir können das auf Grundlage der von uns registrierten Vorfälle nicht abbilden." Es gebe auch entsprechende Vorfälle mit Flüchtlingen, ihr Anteil sei aber gering.

"Wir sehen ganz klar eine Strategie, Antisemitismus für eigene Zwecke zu nutzen und für flüchtlingsfeindliche Argumentationen zu instrumentalisieren", so Steinitz. Das sei besorgniserregend. "Die Täter sind fast alle deutsche Staatsbürger", ergänzte der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg. "Das auf Flüchtlinge abzuwälzen, sehe ich als Versuch etwa der AfD, von eigenem Antisemitismus abzulenken."

Die 2015 gegründete und vom Senat geförderte Rias sammelt ihre Daten auf Grundlage von Meldungen via Internet, eigenen Beobachtungen, durch Zusammenarbeit mit einem Netzwerk zivilgesellschaftlicher Akteure wie der Opferberatung und der Polizeistatistik. Allen zuletzt veröffentlichten Statistiken gemein ist der steigende Trend bei antisemitischen Vorfällen.

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