Antisemitismus:Aus der Mitte des Stadions

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Antisemitische und rechtsextreme Schmierereien in Grafing bei München (Foto: EBE)

Florian Schubert zeigt den alltäglichen Judenhass bei Fußballfans auf - und wie er verharmlost wird, nicht nur in unteren Ligen.

Rezension von Ludger Heid

Fußball ist der Sport aller Deutschen. Ein Fußballspiel kann ein spannender Zeitvertreib, manchmal sogar ästhetischer Genuss sein, darum strömen die Massen ins Stadion. Doch Fußball hat auch eine hässliche Seite - Gewalt, und konkret: manifester Antisemitismus.

Fußballarenen sind Orte, an denen antisemitische Schmähungen und Pöbeleien fröhliche Urständ feiern, Orte, wo andere Regeln herrschen, wo man "mal die Sau rauslassen" darf.

Das Fußballstadion, so scheint es, nimmt eine Sonderstellung ein, wo erlaubt und möglich ist, was in der Gesellschaft ansonsten nicht akzeptiert, sondern sanktioniert würde, wo "antimodernes Denken konserviert" wird. Das ist ein alarmierender Befund von Florian Schubert in seiner Studie "Antisemitismus im Fußball".

Als Wolfgang Niersbach über eine "jüdische Kampagne" schwadronierte

Antisemitische Angriffe gegen gegnerische Spieler und Fans sowie gegen den Schiedsrichter sind geübte Praxis, gezielte grenzüberschreitende Provokationen und Tabubrüche gleichermaßen.

Mit der Zuschreibung des Wortes "Jude" sollen gegnerische Fans und Spieler abgewertet werden. Das Lexem "Jude" gilt seiner antisemitischen Dimension wegen als das größte aller Schimpfworte.

Diejenigen Anhänger, die "Jude, Jude" brüllen oder "Deutschland den Deutschen" skandieren, die aufgenähte SS-Runen auf ihren Kutten zur Schau stellen, sind auf Abschreckung und Abgrenzung geeicht, wollen bewusst rebellieren gegen das als von außen oktroyiert wahrgenommene Geschichtsverständnis.

Schubert hat in seiner grundlegenden Studie untersucht, wie wirkungsmächtig antisemitische Stereotype im gesamtdeutschen Fußball seit den 1980er-Jahren auftreten und die Verantwortlichen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) damit umgehen.

Leidtragende massiver antisemitischer Anfeindungen waren von den 1990er-Jahren an vor allem die deutsch-jüdischen Makkabi-Vereine.

Nach der Jahrtausendwende hat sich, besonders auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, in Fankurven der unteren Ligen eine hegemoniale rechte bis neonazistische Fanklientel herausgebildet und eine Deutungshoheit über die Fanszene erlangt. In diesen Blöcken gehören antisemitische Kommunikationsformen und Präsentationen zum Alltag.

Auch Spiele der deutschen Nationalmannschaft sind zu einer antisemitischen Manifestationsfläche geworden, wobei sich gewalttätige Vorfälle, Provokationen und neonazistische Demonstrationen vermischen.

Schubert stellt fest: "Diese eigene Welt der Nationalmannschaftsspiele förderte diskriminierende Verhaltensweisen im Allgemeinen und antisemitische im Speziellen". Der DFB hat über Jahre hinweg die Chance verpasst, durch aktive Fanarbeit einzugreifen und gegenzusteuern, und scheint nicht gewillt oder nicht in der Lage zu sein, auf antisemitische und diskriminierende Vorfälle im Umfeld von Länderspielen adäquat zu reagieren.

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Das wurde etwa 1994 im Rahmen der Planungen für ein Freundschaftsspiel zwischen England und Deutschland deutlich: Das Spiel sollte am 20. April 1994 in Hamburg stattfinden. Indes gab es von verschiedenen Seiten Bedenken wegen des Termins. Hamburg zog seine Zusage zurück, und Berlin bot sich als Austragungsort an.

Doch mit einem Mal war dem englischen Fußballverband das Datum zu heikel, und er sagte das Spiel kurzerhand ab. Der damalige DFB-Pressesprecher und nachmalige Präsident Wolfgang Niersbach, eine Verschwörung witternd, schwadronierte von einer "jüdischen Kampagne" und ließ sich dahingehend aus: "Der 20. April steht bei uns nicht auf dem Index. ... 80 Prozent der amerikanischen Presse ist in jüdischer Hand." Nach Protesten sah sich Niersbach genötigt, sich zu entschuldigen.

Dass der DFB das Thema Antisemitismus im Fußball nicht als ein dringliches wahrnimmt, wird auch daran deutlich, dass auf einer Konferenz im Juni 2015 in Amsterdam zum Thema "Antisemitismus im Profifußball" kein Vertreter des Verbandes, obwohl mehrmals ausdrücklich eingeladen, anwesend war.

Auch wenn offenere Formen von antisemitischen Verhaltensweisen seit den 2000er-Jahren in den oberen Ligen seltener vorkommen, ist der Stadionantisemitismus nicht verschwunden und hat sich etwa auf die An- und Abfahrtswege verlagert, in den Amateurligen hat er sogar zugenommen. Es gibt nach wie vor ein großes tradiertes Repertoire an antisemitisch konnotierten Formen und Handlungen.

Florian Schubert: Antisemitismus im Fußball. Tradition und Tabubruch. Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 488 Seiten, 39,90 Euro, E-Book: 31,99 Euro. (Foto: Verlag)

In den Interviews, die Schubert führte, streiten die meisten Befragten ab, Antisemiten zu sein, da sie ihre Schmähungen nicht mit realen Juden in Verbindung projiziert sehen. Dem stellt Schubert sein Verdikt entgegen: Handlungen bleiben auch dann antisemitisch, wenn Handelnde dies eigentlich nicht intendiert haben.

Das Internet generiert kollektives Fußballwissen und verstärkt zugleich die Weitergabe antisemitischen Wissens, das immer wieder in besonders stark aufgeladenen Situationen seine Anwendung findet. So führten die Ereignisse im Sommer 2014 in Gaza zu antisemitischen Reaktionen in Stadien.

Schubert verweist auf Berichte, wonach Gruppen von Fußballfans auch außerhalb des Stadions mit einer antisemitischen Alltagskommunikation auffallen, die nicht auf den gegnerischen Verein oder seine Fans abziele, sondern Juden im Allgemeinen und Israel im Besonderen im Visier habe.

Man erfährt bei Florian Schubert eine Menge Neues über das, was sich in deutschen Fußballstadien allwöchentlich in puncto real-existierendem Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit abspielt, und das ist nachgerade verstörend, und beschämend ist es allemal.

Antisemitismus ist ein beständiges Gefühl und ständiger Begleiter auf Fußballplätzen. Nach der Zweitligapartie zwischen Union Berlin und dem FC Ingolstadt am 8. März 2019 - da hatte Florian Schubert seine quellengesättigte Doktorarbeit längst eingereicht - schreckten sieben Zeilen voller Hass und Hetze den deutschen Fußball auf, dabei war es doch nur der gewöhnliche Antisemitismus: Der Tweet eines Berlin-Fans mit dem Nutzernamen "U.N.V.E.U." ("Und niemals Vergessen Eisern Union") gegen Ingolstadts israelischen Mittelfeldspieler Almog Cohen verbreitete sich auf den Sportseiten der deutschen Presse.

Der sofort gelöschte Twitter-Kommentar lautet: "Verpiss dich aus unserem Stadion an der alten Försterei du scheiß Judenvieh!!!!!! Ab in die Kammer mit dir!!!!!!!"

Cohen antwortete umgehend und bedankte sich für viele unterstützende Blogs und die Solidarität, die er erfuhr: "Ich bin sehr stolz auf meine Abstammung und darauf, mein Land in der Bundesliga zu repräsentieren und den FC Ingolstadt als Kapitän anzuführen. Und das in einem Land, das ich für seine Offenheit schätze ..."

Antisemitisches Verhalten ist und bleibt eine Straftat

Sogenannte Fans, Ultras oder Hooligans, wie immer sie sich nennen, mögen ihre judenfeindlichen Hassinjurien als harmlose Provokationen abtun, für den realen Juden und jeden vernunftbegabten Menschen gleichermaßen ist es nur abstoßend, angsteinflößend und menschenverachtend. Antisemitisches Verhalten ist und bleibt eine Straftat.

Verfolgungsbehörden, Vereine und der DFB, einzelnen Bemühungen zum Trotz, haben nicht vermocht, den Antisemitismus hinreichend zu bekämpfen, sonst wäre er längst aus den Stadien verschwunden.

Ludger Heid ist Neuzeithistoriker und lebt in Duisburg.

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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