Antisemitischer Übergriff:"Ein Jude in Not ist in Deutschland alleine"

Antisemitischer Übergriff: Samuel K.

Samuel K.

(Foto: privat)

Samuel K. wird in der Nacht zu Mittwoch in einem Fitnessstudio von einem jungen Mann die Kippa vom Kopf gerissen und er bekommt Schläge angedroht. Niemand springt ihm zur Seite.

Interview von Thorsten Schmitz

Samuel K. ist in der Nacht zu Mittwoch in einem McFit-Fitnessstudio in Freiburg von einem jungen Mann die Kippa vom Kopf gerissen worden, zudem wurden ihm Schläge angedroht. Im Umkleideraum standen zehn andere junge Männer - aber niemand sprang ihm zur Seite. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz.

K. ist in Berlin aufgewachsen und lebt erst seit einem Jahr in Freiburg, wo er Politikwissenschaft und Französisch studiert. Er ist 19 Jahre alt und Mitglied der orthodoxen jüdischen Gemeinde Kehal Adat Jeschurun.

SZ: Wie geht es Ihnen?

Samuel K.: Ich bin noch am Verarbeiten. Ich kann nicht gut schlafen seit dem Angriff. Aber ich spreche viel mit Freunden, das hilft mir. Mit der Polizei hatte ich bisher gar keinen Kontakt, außer am Tatort. Auch von der Stadt Freiburg hat sich bislang niemand bei mir gemeldet.

Was ist Ihnen passiert?

Am Dienstagabend war ich im Fitnessstudio McFit. Mitten im Training bin ich kurz in die Umkleide, um mein Handy zu holen, als ich auf einmal von hinten am Kopf gepackt wurde und mir die Kippa abgerissen wurde. Die Kippa hatte ich mit Clips befestigt. Ich wurde mehrfach als dreckiger Jude bezeichnet, und mir wurde "Free Palestine" ins Gesicht geschrien.

Von wem?

Der Täter war jung und sehr muskulös.

Können Sie etwas zum Hintergrund des Täters sagen?

Ich möchte dazu nichts sagen, weil der Täter mich aufgrund meines Glaubens in eine Schublade gesteckt hat. Wenn ich jetzt eine Vermutung anstelle, welchen Hintergrund er hat, kann es sein, dass die Leute, die mich unterstützen und sein Vorgehen verurteilen, auch ihn in eine Schublade stecken.

Hatten Sie Angst?

Es war ein Schock für mich. Der Täter war mir körperlich weit überlegen. Man erwartet ja keinen Angriff von hinten aus dem Nichts. Hinterher stellte sich heraus, dass er mich verfolgt hatte, denn erst nach dem Angriff ist er zu seinem Spind gegangen. Er hat versucht, die Kippa zu zerreißen, dann hat er auf sie gespuckt und sie in den Mülleimer geworfen. Ich war so perplex und maximal überfordert, dass ich ihn ein paar Mal gefragt habe, warum er das macht, was das soll. Dann spuckte er auf den Boden und wiederholte den Spruch "Free Palestine" und ich fragte ihn, ob er denn jetzt stolz auf sich sei. Er ist dann näher auf mich zugekommen und hat gedroht, mich zu verprügeln.

Waren Sie zu diesem Zeitpunkt alleine in der Umkleide?

Nein, überhaupt nicht. Es waren vielleicht zehn andere junge Männer mit mir dort. Ich war mir auch sicher, dass Zivilcourage existiert, und dass ich auf keinen Fall alleine sein werde. Ich habe mich umgedreht und habe allen Leuten in die Augen geschaut. Ich erwarte nicht, dass jemand für mich kämpft, ich bin ja selbst auch pazifistisch unterwegs. Ich denke aber, dass ein lautes Aufsichaufmerksammachen vielleicht ihm signalisiert hätte, dass ich nicht alleine bin. Schweigen ist ja oft ein Zuspruch.

Niemand von den jungen Männern ist Ihnen zur Hilfe geeilt?

Niemand. Das ist ja das Krasse. Niemand hat gesagt, hey, was machst du. Nur ein älterer Herr, der gerade von der Toilette kam, hat versucht, die Situation geradezubiegen und auf den Täter eingeredet. Er wusste nicht, um was es ging. Ich habe die Situation genutzt und bin aus dem Raum gerannt und habe Mitarbeiter informiert und sofort die Polizei angerufen. Die Mitarbeiter waren super überfordert. Die haben mir gesagt, so etwas sei noch nie vorgekommen.

Wo war denn der Täter in diesem Moment?

Der Täter ist an mir und dem Mitarbeiter vorbeispaziert durchs Drehkreuz. Der Mitarbeiter hat gesagt, er dürfe den Täter nicht festhalten, hat aber versucht, ihn mit einem Gespräch am Gehen zu hindern. Aber der sagte nur, er habe es eilig und ist weggegangen. Dann kam die Polizei, sehr schnell, die nahmen es sehr ernst. Jetzt ermittelt der Staatsschutz. Man weiß immer noch nicht, wer es war, aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit. Dem Mitarbeiter habe ich gesagt, ich werde nie wieder in dieses Studio gehen, allein schon aus Sicherheitsgründen, ich möchte ja nicht verprügelt werden. Der Mitarbeiter hat versprochen, er kümmere sich um meine Kündigung, aber vom Gym selbst habe ich nichts gehört bisher.

Viele Opfer antisemitischer Überfälle scheuen den Weg an die Öffentlichkeit, aus Angst vor weiteren Angriffen. Sie nicht, Sie zeigen Ihr Gesicht. Warum?

Es ist schlimm, dass es mir zugestoßen ist, aber ich fände es noch viel schlimmer, wenn ich jetzt einfach schweigen würde und das, wie immer, unter den Teppich gekehrt werden würde. Dann würde nämlich niemand dem Überfall Beachtung schenken, und jeder würde in der Illusion weiterleben, dass es in Freiburg keinen Antisemitismus gibt. Ich habe sofort nach dem Angriff beschlossen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich bin ja nicht der erste Jude und sicher auch nicht der letzte Jude in Deutschland, der attackiert wird. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen in Freiburg in der Illusion leben, die Stadt sei grün und liberal und dass es hier keine Probleme gibt. Wahrscheinlich realisieren viele hier einfach nicht, dass die Realität anders aussieht - und das ist supergefährlich für Leute für mich.

Der Anschlag in Halle vor einem Monat hat eine neue Dimension an Judenhass offenbart. Der Attentäter hatte die Absicht, Juden beim Gebet zu ermorden. Hat Halle zu einem Umdenken geführt bei den verantwortlichen Politikern?

Leider, leider muss ich sagen, dass die Gesellschaft immer nur erst dann reagiert, wenn jemand umkommt. Und solche Fälle, die tagtäglich passieren, wenn jemand bespuckt oder jemandem eine Kette mit Davidstern vom Hals gerissen wird, darüber wird nicht gesprochen oder es wird als Vandalismus verniedlicht. Das Problem ist: Alles fängt so an. In Halle war die Synagoge nicht bewacht. Als wir vor kurzem in Freiburg ein neues Chabad-Gemeindehaus eröffnet haben, hat der Rabbiner auch um Schutz gebeten, aber er bekam die bloße Rückmeldung: Freiburg ist sicher. Ein paar Wochen nach Halle allerdings hat sich die Polizei von selber darum gekümmert, dass die Gemeinde Schutz bekommt.

Welche Lehre ziehen Sie daraus?

Dass man als Jude in Deutschland, der Antisemitismus ausgesetzt ist, nicht ernst genommen wird. Es finden zwar viele Diskussions- und Gedenkveranstaltungen in Deutschland statt, aber als Jude in Not wird man gewissermaßen alleine gelassen. Wenn etwas Schlimmes passiert, ist die Öffentlichkeit erregt, man schaut sich alles an, und zwei Monate später lässt das öffentliche Interesse wie üblich nach.

Das können Sie sich jetzt nach Halle also auch vorstellen?

Ja, sehr gut sogar. Ich sehe das ja hier in Freiburg. Am Anfang standen die Polizisten noch vor dem Chabad-Gemeindehaus, dann saßen sie im Auto, jetzt steht das Polizeiauto auf der Straße gegenüber. Manchmal klopfen sie auch, und fragen, wie lange wir noch da sein werden.

Wie haben Sie sich vor dem Angriff im Fitnessstudio als Jude in Freiburg gefühlt, der eine Kippa trägt?

Sehr frei, deshalb habe ich mein Judentum ja auch so offen ausgelebt bislang. Ich dachte mir, mehr als einen bösen Blick bekomme ich hier nicht, und im Notfall ist die Gesellschaft in Freiburg auch so engagiert, dass sie mir hilft. Ich sehe ja hier, wie die Leute für Bäume auf Demos gehen, und so dachte ich mir, dass sie auch für Juden einstehen würden. Ich will auf keinen Fall das Thema Bäume unwichtig machen, aber das eine sind Pflanzen und das andere eben Menschen.

In Berlin ist Ihnen nie etwas passiert?

In Berlin habe ich in der Oberstufe damit begonnen, eine Kippa zu tragen, auch, weil jüdisches Leben an Berliner Schulen einfach nicht präsent ist. Ich habe nur Unterstützung in der Schule erfahren, nur außerhalb des Schulhofes wurde mir manchmal "Free Palestine" hinterhergerufen.

Welche Reaktionen haben Sie auf Ihren Facebook-Bericht über den Angriff erhalten?

Aus aller Welt nur Reaktionen, die mir Mut zusprechen. Überwältigt hat mich aber die Reaktion des Eles-Studienwerks, bei denen ich Stipendiat bin. Die haben mich sofort angerufen, juristischen Beistand angeboten und finanzielle Hilfe, und am Samstag, am Jahrestag der Reichspogromnacht, haben sie jetzt spontan zu einer öffentlichen Diskussion in Freiburg aufgerufen, um ein Zeichen zu setzen gegen Antisemitismus. So muss das sein.

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