Süddeutsche Zeitung

Antisemitismus:Deutschland braucht einen Antisemitismus-Beauftragen

Judenhass hat giftig-welterklärenden Charakter. Es reicht nicht, nur an Gedenktagen darüber nachzudenken. Man muss etwas dagegen tun.

Kommentar von Heribert Prantl

Was könnte ein Antisemitismus-Beauftragter leisten? Er könnte ein flächendeckendes Meldesystem einrichten für einschlägige Aggressionen und Gewalttaten. Das gibt es bisher nicht. Er könnte ein schützendes Beratungssystem aufbauen. Das gibt es bisher nicht. Er und seine Leute könnten in Synagogen und Gemeindezentren gehen und mit Juden über deren Alltagserfahrungen reden. Das gibt es bisher nicht. Eine systematische Recherche, ein umfassendes Nachdenken über den Antisemitismus in Deutschland findet bisher nicht statt. Der Beauftragte könnte die Malaisen schulischer und politischer Bildung untersuchen. Unterrichtet wird der Holocaust; dann ist Schluss. Bildungsarbeit, die sich dem handgreiflichen Judenhass in Jugendhäusern und Schulen stellt, gibt es kaum.

Zweieinhalb Dutzend Beauftragte für dies und das hat die Politik schon ernannt. Der erste Reflex, sich gegen noch einen weiteren Beauftragten zu wehren, ist daher verständlich, aber falsch. Gewiss: Es gibt im Bundeskanzleramt schon Beauftragte für Migration, für Kultur und Medien, für die Nachrichtendienste, für Bürokratieabbau, für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. Es gibt die Ämter des Wehrbeauftragten, des Zivildienstbeauftragten und des Menschenrechtsbeauftragten. Allein in den Ministerien sitzen insgesamt 27 Beauftragte. Also einfach noch einer? Es ist nicht einfach noch irgendeiner; es ist ein besonderer, ein geschichtsnotwendiger Beauftragter. Es kann ja nicht damit getan sein, nur an Gedenktagen über den Antisemitismus in Deutschland nachzudenken.

Der Antisemitismus nutzt jede Gelegenheit, um dem Hass freien Lauf zu lassen. Derzeit ist es die unselige Entscheidung Trumps, die US-Botschaft nach Jerusalem zu verlegen: "Tod den Juden" wird auf Demos gebrüllt, israelische Flaggen werden verbrannt. Der Titel einer Sonderausstellung im Münchner NS-Dokumentationszentrum über den Rechtsextremismus von 1945 bis heute lautet: "Nie wieder. Schon wieder. Immer noch." Wer glaubt, man brauche keinen Antisemitismus-Beauftragten: Der besuche diese Ausstellung.

Es ist nicht damit getan, dass ein Gericht die Verbrechen des rechtsextremistischen NSU nun schon sehr lange aufklärt. Der Rechtsextremismus kommt auch in Schafspelz daher. Zum Beispiel so: Die AfD (in der Leute wie Björn Höcke sitzen, der das Holocaust-Denkmal als "Schande" geschmäht hat) bietet sich neuerdings heuchlerisch als politische Heimstatt für Juden an - weil und indem sie Muslime aus Deutschland ausschaffen will.

Sollte man nicht statt eines Antisemitismus-Beauftragten einen Antirassismus-Beauftragen einsetzen? Nein, weil der Antisemitismus nicht einfach eine Sonderform des Rassismus ist. Er hat giftig-welterklärenden Charakter. Er besteht in Abwertung und dubioser Überhöhung; er macht den Juden zugleich zum niederen Menschen und zum Illuminaten. Der Antisemitismus ist eine geschichtsmächtig destruktive Kraft. Deshalb braucht Deutschland einen Beauftragten speziell dafür.

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Quelle:
SZ vom 18.12.2017/lot
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