Antisemitismus:"Da hat jemand etwas nicht verstanden"

Weil ein Israeli eine Kippa trägt, schlägt ein Palästinenser auf ihn ein. Der Täter wird verurteilt.

Von Verena Mayer, Berlin

Kippa-Träger mit Gürtel attackiert - Prozess in Berlin

Der Angeklagte gestand die Tat, beteuerte aber, dass er kein Antisemit sei. Wegen Beleidigung und gefährlicher Körperverletzung wird er zu vier Wochen Arrest verurteilt.

(Foto: Paul Zinken/dpa)

Zwei junge Männer aus dem Nahen Osten. Der eine Student aus Israel, arabischstämmig, schwul und aufgewachsen mit jüdischen Freunden, die ihm bei einem Besuch eine Kippa schenkten. Der andere Syrer palästinensischer Herkunft. Aufgewachsen mit Schulbüchern, in denen Israel nicht verzeichnet war, und in einer Familie, in der es üblich war, dass vom Großvater bis zum Cousin alle auf die Juden schimpften. In Berlin trafen die beiden aufeinander.

Die Begegnung der beiden ist inzwischen ein Stück deutscher Zeitgeschichte. Festgehalten auf einem Video, auf dem man sieht, wie der palästinensische Mann in Prenzlauer Berg auf den israelischen zustürmt, ihn als "dreckiger Jude" beschimpft und schließlich mit einem Gürtel auf ihn einschlägt, mit der Schnalle voran, mindestens drei Mal. Nur, weil der Israeli eine Kippa auf dem Kopf hat. Der Fall wurde zum Symbol dafür, was passieren kann, wenn man sich in Deutschland mit jüdischen Symbolen zeigt. Er wurde aber auch zum Auslöser einer Welle der Solidarität. In ganz Berlin gingen im April Menschen unter dem Motto "Berlin trägt Kippa" auf die Straße, um gegen Antisemitismus zu protestieren.

"Wie bei einem Vulkan - wenn er einen kritischen Punkt erreicht, kommt es zum Ausbruch."

Vor dem Amtsgericht Tiergarten sitzen sich die beiden jungen Männer nun gegenüber. Rechts der Israeli Adam A., 21 Jahre alt, er tritt als Nebenkläger auf. Links auf der Anklagebank sitzt Knaan Al S., 19 Jahre alt. Er gibt die Tat zu, sagt aber, er sei kein Antisemit, für ihn seien die Schimpfworte nur ein Spaß gewesen. Dem Blick seines Opfers weicht er dabei aus.

Und so ist es am Staatsanwalt, die Dimension der Tat einzuordnen. Er sagt am Montagnachmittag in seinem Plädoyer, dass die Tat nicht nur ein "Fall von Hasskriminalität" und "völlig unakzeptabel" sei, sondern auch den Werten des deutschen Grundgesetzes widerspreche. Es sind Werte, auf die sich Knaan Al S. selbst berufen habe, als er in Deutschland um Asyl nachsuchte.

Eine friedliche Straßenszene hat sich einer Zeugin zufolge zunächst abgespielt an jenem Aprilabend in Berlin. Der Israeli und sein Freund waren zu Bekannten unterwegs, um ein Sofa abzuholen. Weil sie zuvor mit israelischen Freunden Pessach gefeiert hatten, trugen beide eine Kippa. "Das waren zwei süße schwule Jungs", sagt die Zeugin vor Gericht. Bis die beiden ins Visier einer Gruppe auf der anderen Straßenseite gerieten. Darunter der Cousin von Knaan Al S., ebenfalls Palästinenser; auf Facebook sympathisiert er mit der "Jerusalem-Brigade", die Israel am liebsten ausgelöscht sehen würde. Knaan Al S. selbst stand unter Drogen, wie so oft. Nachdem er 2015 nach Berlin gekommen war, hat er den Halt verloren, er ging nicht zur Schule, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, schlief auf der Straße. Als er die beiden jungen Israelis sah, begann er sofort, sie zu beschimpfen. Als sie ihm zuriefen, er solle sie in Ruhe lassen, habe sich bei ihm all der aufgestaute Hass entladen, sagt die Nebenklage-Vertreterin. "Wie bei einem Vulkan - wenn er einen kritischen Punkt erreicht, kommt es zum Ausbruch." Zu einer Zeugin, die eingreifen wollte, sagte Knaan Al S. nur: "Ich bin Palästinenser."

"Das ist schon ein starkes Stück", sagt der Jugendrichter. Al S. habe sich als "Richter und Vollstrecker in einer Person" gefühlt, "da hat jemand grundlegend etwas nicht verstanden". Er verurteilt Knaan Al S. wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung zu vier Wochen Jugendarrest, den der Angeklagte aber schon in den zwei Monaten, in denen er in Untersuchungshaft war, abgebüßt habe. Außerdem muss er demnächst an einer Führung durch das Haus der Wannsee-Konferenz teilnehmen, in dem 1942 die Ermordung an den europäischen Juden organisiert wurde. Zu berücksichtigen seien auch das jugendliche Alter des Angeklagten und seine mangelnde Reife, sagt der Staatsanwalt. "Erziehungskräfte sind noch anwendbar."

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