Rassismus und Antisemitismus:„Wir stecken in einer Diskriminierungskrise“

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Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman (re.), wünscht sich mehr Tempo von der Bundesregierung. (Foto: Chris Emil Janssen/Imago)

In den vergangenen drei Jahren haben sich so viele Menschen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeldet wie nie zuvor. Die Beauftragten gehen mit der Bundesregierung hart ins Gericht.

Von Leonard Scharfenberg, Berlin

Der Bericht zeichnet ein düsteres Bild. Mehr als 20 000 Fälle wurden in den Jahren zwischen 2021 und 2023 bei der Antidiskriminierungsstelle gemeldet. So viele wie noch nie zuvor. Das habe auch mit der aktuellen Situation zu tun, beschreibt Ferda Ataman, die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes bei der Vorstellung des neuen Lageberichts. Da seien etwa die aktuellen Migrationsdebatten und die Wahlergebnisse der AfD: „Wenn Migration öffentlich nur als Problem wahrgenommen wird, werden auch Menschen mit Einwanderungsgeschichte irgendwann pauschal als Problem wahrgenommen“, sagt sie. Jeder zehnte Mensch mit Migrationsgeschichte denke gerade darüber nach, das Land zu verlassen.

Auch beim Antisemitismus drückt sich die aktuelle Weltlage in den Ergebnissen des Berichts aus. Seit dem siebten Oktober sei die „judenfeindliche Grundstimmung in diesem Land so stark wie nicht mehr seit 1945“, ergänzt Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung. Die Zahl der Straftaten mit antisemitischem Hintergrund habe sich seit vergangenem Herbst mehr als verdoppelt. Und auch im Bereich der Diskriminierung steigen die Zahlen. Jüdische Organisationen hätten etwa Probleme, Räume zu finden, weil sich Vermieter vor antisemitischer Gewalt fürchten.

Im Job scheint das Geschlecht der entscheidende Diskriminierungsfaktor zu sein

Es ist eine beeindruckende Reihe an Beauftragten der Bundesregierung, die zur Vorstellung des Berichts auf dem Podium der Bundespressekonferenz Platz genommen haben. Neben Ferda Ataman haben an dem neuesten Bericht auch die jeweiligen Beauftragten für jüdisches Leben, Behinderte, Antirassismus, Antiziganismus, Aussiedler und queeres Leben mitgearbeitet.

Etwa 40 Prozent der Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle beziehen sich auf rassistische Diskriminierung – mit Abstand der größte Anteil der Anfragen, gefolgt von Menschen mit Behinderung. Doch die Zahlen variieren stark nach Lebensbereichen. Im Job scheint das Geschlecht der entscheidende Diskriminierungsfaktor zu sein, bei Dienstleistungen ist der Anteil derer höher, die sich aufgrund einer Behinderung diskriminiert fühlen. Und bei der Wohnungssuche geht es wenig überraschend besonders stark um Rassismus.

Die Behörde bietet diesen Menschen eine kostenlose juristische Erstberatung an. Weiterhelfen kann sie aber nur in etwa der Hälfte der Fälle. Die Frist, um sich auf dem Rechtsweg gegen Diskriminierung zu wehren, beträgt nur zwei Monate, so ist es im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) festgeschrieben. Oft melden sich Ratsuchende zu spät. Manchmal komme es durch die angespannte Personalsituation auch zu einem Anfragestau, räumt Ataman ein. Am häufigsten sei aber einfach „keine Zuständigkeit durch das AGG gegeben“, erklärt sie.

Ataman kritisiert besonders das Justizministerium

Ataman war eigentlich einmal angetreten, um die Behörde und ihre rechtliche Basis, das AGG, grundlegend zu verändern. Als sie, gleichzeitig mit der Ampelregierung im Herbst 2021 die Arbeit aufnahm, sah es tatsächlich für eine kurze Zeit so aus, als würde sich vieles ändern: Erstmals wurde mit Ataman eine unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte direkt vom Bundestag gewählt, mit mehr Mitspracherechten und auch ein wenig zusätzlichem Personal. Vorher war die Stelle noch enger an das Bundesfamilienministerium gebunden und hatte sogar über Jahre hinweg keine Leitung.

Die Ampel ernannte zudem einen Queer-Beauftragten, einen Beauftragten für Antiziganismus und eine Beauftragte für Antirassismus. Seitdem hat sich bis auf das in diesem Jahr verabschiedete Selbstbestimmungsgesetz aber recht wenig getan. Insbesondere bei der Reform des AGG machen die Beauftragten ihrer eigenen Regierung daher jetzt Druck.

Eine Erneuerung des Gesetzes wird von Verbänden schon lange gefordert, mit längeren Fristen, einem Verbandsklagerecht. Das deutsche Antidiskriminierungsrecht sei im internationalen Vergleich „schwach und lückenhaft“, sagt Ataman. Die Ampel hatte sich im Koalitionsvertrag auf eine Reform geeinigt. Es gebe aber bisher nicht einmal einen Referentenentwurf.

Zuständig wäre das FDP-geführte Justizministerium. Auf Vorschläge und Terminbitten mit dem Bundesminister bekomme sie wahlweise keine Antwort oder werde damit vertröstet, dass man noch nicht so weit sei, berichtet Ataman und fügt hinzu: „Das grenzt schon an Arbeitsverweigerung.“

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