Anti-Wall-Street-Proteste und Tea-Party-Bewegung:Einig nur im Zorn

Gegensätzlicher könnten die Protestbewegungen kaum sein: Die Anhänger der konservativen Tea-Party-Bewegung und die Anti-Wall-Street-Demonstranten eint zwar derselbe Reflex: Sie fühlen sich von "denen da oben" schlecht behandelt. Doch sie haben vollkommen unterschiedliche Gegner.

Reymer Klüver, Washington

Gewiss, die jungen Leute vom Washington Square in New York oder die Protestler, die am Donnerstag vor das Kapitol, den Sitz des US-Parlaments in Washington, gezogen waren, sehen anders aus als beispielsweise die Teilnehmer der Massenkundgebung, die vor gut einem Jahr der rechte Fernsehmoderator Glenn Beck in der amerikanischen Hauptstadt organisiert hatte.

Wall Street Protests Spread To Las Vegas

Die Occupy-Wall-Street-Bewegung wurzelt im Zorn gegen den Klüngelkapitalismus, in dem die Mächtigen der Wirtschaft die Mächtigen in der Politik korrumpieren. Auch die Tea-Party-Anhänger fühlen sich von "denen da oben" schlecht behandelt. Gegen den Kapitalismus wenden sie sich jedoch nicht.

(Foto: AFP)

In New York und vor dem Kapitol sind es junge Leute aller Hautfarben, sie tragen selbstgemalte Poster mit der Aufschrift: "Tax Wall Street" - höhere Steuern für die Wall Street - oder: "The rich get bailed out, the poor get sold out", den Reichen hilft man aus der Patsche, die Armen lässt man im Stich.

Zu Becks Kundgebung waren ältere Herrschaften zu Zehntausenden gekommen, die meisten zwischen Mitte dreißig und Mitte sechzig, mehr Männer als Frauen und fast ausschließlich Weiße. Sie hielten Banner mit der Aufschrift "God bless America" - Gott segne Amerika -, oder sie reckten trotzig gelbe Wimpel in die Höhe, auf denen eine Klapperschlange zu sehen und dazu zu lesen war: "Don't tread on me" - tritt mich nicht mit Füßen.

Verschiedener eigentlich könnten die Aktivisten der Occupy-Wall-Street-Bewegung und die Sympathisanten der Tea-Party-Bewegung kaum sein. Die Unmutsbewegung der Rechten entstand in Suburbia, Occupy Wall Street ist in den Städten zu Hause. Und doch eint beide Protestbewegungen - die linke wie die rechte - derselbe Reflex: das Gefühl, von "denen da oben" schlecht behandelt worden zu sein, und die Überzeugung, für die Mehrheit zu sprechen. Beide beklagen letztlich die Selbstbedienungsmentalität der Reichen auf Kosten der Allgemeinheit. Nur richten sie ihren Zorn am Ende gegen sehr unterschiedliche Ziele.

Die Tea Party wurde im Frühjahr 2009 aus Wut über das gigantische staatliche Konjunkturprogramm geboren, mit dem Präsident Barack Obama die US-Wirtschaft vor dem Sturz in eine Depression bewahren wollte, und über die Abermilliarden Dollar, die Washington zur Rettung der angeschlagenen Finanzhäuser an der Wall Street und der Autogiganten in Detroit auswarf. Aus den Tea-Party-Aktivisten brach das Gefühl heraus, betrogen zu werden: Während sie für ihren Lebensunterhalt hart arbeiten und selbst sehen müssen, wie sie mit der Wirtschaftskrise fertig werden, löst der Staat Banker und Bosse aus, wenn sie in der Klemme stecken. Doch haben die Tea-Party-Leute ihren Zorn nicht gegen die Unternehmer und Manager gerichtet, sondern gegen die linken politischen Eliten, die die milliardenschweren staatlichen Wohltaten austeilen: gegen die Demokraten und Präsident Barack Obama.

Auch die Occupy-Wall-Street-Bewegung wurzelt im Zorn über die ungleiche Behandlung der ohnehin Wohlhabenden und der Habenichtse und dem, was in den USA von links wie rechts als "Crony Capitalism" gegeißelt wird: Klüngelkapitalismus, in dem die Mächtigen der Wirtschaft die Mächtigen in der Politik korrumpieren: Demokratie, nicht Plutokratie lautet denn auch einer der ursprünglichen Schlachtrufe der Bewegung. Occupy Wall Street richtet sich indes eindeutig gegen das reichste Prozent der Amerikaner, deren Wohlstand in den vergangenen drei Jahrzehnten explodiert ist. Viele Demokraten, allen voran ihre Vorfrau im Repräsentantenhaus, die linke Nancy Pelosi, haben in den vergangenen Tagen ihre Sympathien für den Protest erkennen lassen.

Auf Seiten der Konservativen gibt es dagegen keinerlei Verständnis für die jungen Leute. Der Fraktionschef der Republikaner im Repräsentantenhaus, Eric Cantor, denunzierte die Protestler als "Mob". Am deutlichsten wurde der Präsidentschaftskandidat Herman Cain. Er warf der Bewegung vor, "antikapitalistisch" und damit "unamerikanisch" zu sein. Das trifft bei konservativen Amerikanern einen Nerv. Sie haben ihre Nation immer als Land der Individualisten begriffen - und der Kapitalisten.

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