Süddeutsche Zeitung

Anti-Terror-Krieg:Menschenrechtler klagen Ägyptens Militär an

Die Streitkräfte auf dem umkämpften Sinai sollen für extralegale Hinrichtungen von IS-Kämpfern verantwortlich sein. Kairo bestreitet dies.

Die Menschrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International (AI) erheben schwere Vorwürfe gegen Ägyptens Militär: Die Streitkräfte seien verantwortlich für außergesetzliche Tötungen unbewaffneter Gefangener im Zuge des Kampfes gegen den lokalen Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat im Norden der Sinai-Halbinsel, heißt es in entsprechenden Erklärungen. Beide Organisationen berufen sich auf Analysen von Videos und Bildern, bei denen sie vom ägyptischen Militär über offizielle Kanäle verbreitete Aufnahmen mit solchen verglichen, die vergangene Woche ein der in Ägypten als Terrororganisation verbotenen Muslimbruderschaft nahestehender Sender aus der Türkei veröffentlicht hatte.

Das Video zeigt laut den Menschenrechtlern einen Mann in ägyptischer Militäruniform, wie er zwei am Boden liegende, unbewaffnete Männer erschießt; eines der Opfer soll minderjährig sein. Beide Organisationen identifizieren den Schützen als Mitglied einer lokalen Beduinen-Miliz, die eng mit dem Militär zusammenarbeite und von diesem ausgerüstet und geführt werde. Ein zweiter Mann, der in dem Video zu erkennen ist, trage Abzeichen des Militärgeheimdienstes und überwache die Exekutionen. Der Vorfall müsse nach internationalem Recht untersucht, verfolgt und bestraft werden. Ob der Schütze selbst Militärangehöriger sei, spiele für die Verantwortlichkeit keine Rolle, weil er unter Kontrolle und Kommando der Armee gestanden habe.

Laut Human Rights Watch und Amnesty International sind die beiden Getöteten auch auf Aufnahmen zu sehen, die das ägyptische Militär Ende 2016 auf Facebook und dem Videokanal YouTube verbreitet habe. In diesen Aufnahmen wurden sie als "Terroristen" bezeichnet, die während einer Antiterror-Operation gegen deren Stützpunkt und ein Sprengstofflager bei einem Gefecht getötet worden seien. Auf diesen Aufnahmen sind jeweils Waffen neben den Getöteten zu sehen.

Amnesty machte Mitglieder des ägyptischen Militärs für insgesamt mindestens sieben solcher extralegalen Tötungen verantwortlich, Human Rights Watch sprach von zwei bis acht Opfern und gab an, weitere Videos von einer regierungsnahen Facebook-Seite herangezogen zu haben, das von demselben Vorfall stamme. Beide Organisationen teilten mit, das nun bekanntgewordene Video zeige keine Manipulationen und sei nach ihrer Einschätzung authentisch. Die ägyptische Nachrichtenseite Youm7 hatte es als "Fälschung der Muslimbruderschaft" bezeichnet.

Eine offizielle Stellungnahme der ägyptschen Regierung liegt bisher nicht vor. Diese hat den beiden Menschrechtsorganisationen aber wiederholt vorgeworfen, gezielt eine Kampagne gegen Ägypten zu betreiben. Das neue Video war offenbar gezielt zum Besuch von US-Verteidigungsminister Jim Mattis am Donnerstag in Kairo veröffentlicht worden.

Das ägyptische Militär kämpft im Norden der Sinai-Halbinsel gegen einen Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat, der aus der ägyptischen Terrorgruppe Ansar Beit al-Maqdis hervorgegangen ist. Diese hatte sich im November 2014 dem IS angeschlossen und gilt westlichen Geheimdiensten als gefährlichster Ableger des IS außerhalb dessen Kerngebieten in Irak und Syrien. Regelmäßig kommt es im Nordsinai zu Anschlägen auf Soldaten und Polizisten, Hunderte sind seit Mitte 2013 getötet worden.

Seit 2016 attackieren die Extremisten auch gezielt Ägyptens Christen; der IS reklamierte Anschläge auf eine Kirche in Kairo mit 29 Toten sowie in Tanta und Alexandria am Palmsonntag mit mehr als 40 Todesopfern für sich. Auch die Verantwortung für einen Anschlag auf einen russischen Urlaubsflieger Ende Oktober 2015 hat der IS übernommen, 217 Menschen starben.

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SZ vom 24.04.2017 / SZ
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