Anti-Terror-Einsatz:Der Drahtzieher von Paris und die ominöse Cousine

Anti-Terror-Einsatz: Einschläge überall: Das Haus, in dem die Terrorzelle gestoppt wurde, ist nach den Explosionen sogar einsturzgefährdet.

Einschläge überall: Das Haus, in dem die Terrorzelle gestoppt wurde, ist nach den Explosionen sogar einsturzgefährdet.

(Foto: AP)

Wer war die Frau, die sich in Saint-Denis in die Luft sprengte? Hasna Aitboulahcen soll die Cousine des getöteten IS-Drahtziehers sein. Nachbarn erinnern sich an eine "extrovertierte" Frau.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Es ist ein paar Minuten nach sechs Uhr am Mittwochmorgen, als eine Frau am Fenster im dritten Stock des Hauses in der 8, Rue de Corbillon im Pariser Vorort Saint-Denis erscheint. Seit mehr als zwei Stunden belagert die Polizei das beige Gebäude, das eine Grundschule beherbergt. Tausende Schüsse hallen durch die Dämmerung.

Sie vermutet dort, in einer der Wohnungen über der Schule, den Hintermann der Anschläge vom Freitag: Abdelhamid Abaaoud, einen der gefährlichsten islamistischen Terroristen Europas. Er war in Syrien in den Reihen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zum bekannten Propagandisten und offenbar auch zum militärischen Kommandeur einer Einheit aufgestiegen, die sich aus belgischen und libyschen Dschihadisten rekrutierte.

Kurz bevor sie sich in die Luft sprengt, macht sie noch einen Anruf

"Wo ist er, dein Freund?", brüllen die Polizisten der Frau zu, wie auf einem Video zu hören ist, das ein Augenzeuge in der Gegend mit seinem Handy aufgenommen hat. "Er ist nicht mein Freund", ruft die Frau zurück, ihre Stimme überschlägt sich. "Wo ist er?", brüllen die Beamten noch einmal. "Er ist nicht mein Freund!" Dann ein gewaltiger Knall. Die Frau, Augenzeugen wollen lange, blonde Haare gesehen haben, zündet offenbar ihre Sprengstoffweste.

Die Explosion ist so stark, dass die Polizei später die Decke der Wohnung abstützen muss, um den Unterschlupf der Terroristen untersuchen zu können; das Haus ist einsturzgefährdet, wie der Chef der Sondereinheit, Jean-Michel Fauvergue, dem Figaro in einem Interview bestätigt.

Hasna Aitboulahcen, geboren im August 1989 in Clichy-la-Garenne und im Großraum Paris bei ihrer Mutter aufgewachsen, ist wohl die erste Selbstmordattentäterin des Islamischen Staates bei einem Anschlag im Westen; offiziell ist ihre Identität noch nicht bestätigt. Wie es aus Kreisen der Ermittler in Frankreich heißt, ist die französische Staatsbürgerin marokkanischer Herkunft die Cousine von Abdelhamid Abaaoud, der bei dem Zugriff ebenfalls getötet wird. Sein Körper, durchsiebt von Patronen und Splittern, wird durch einen Fingerabdruck identifiziert, wie die Staatsanwaltschaft am Donnerstag bekannt gibt.

Nachbarn erinnern sich an eine "extrovertierte" Frau

Auch Hasna Aitboulahcen war dem Staatsschutz bekannt, mehrmals hatte sie dem französischen Staat im Internet gedroht und ihren Willen kundgetan, in den Dschihad zu ziehen. "Jver biento aller en syrie inchallah", postete sie auf Facebook, "ich werde bald nach Syrien gehen, so Gott will". Sie wurde offenbar abgehört, womöglich kamen die Ermittler über sie auf die Spur der Wohnung und Abaaouds.

Kurz bevor sie sich in die Luft sprengt, macht sie noch einen Anruf mit einem Handy, womöglich um weitere Komplizen zu warnen. Auch die Wohnung hatte die Polizei wohl überwacht wegen Drogendelikten; der Eigentümer sagt nach seiner Festnahme, er habe lediglich jemandem einen Gefallen getan, der gebeten habe, Freunde für ein paar Tage dort unterbringen zu dürfen.

Eine hübsche junge Frau, ein bisschen planlos

Französische Medien haben die Spur von Hasna Aitboulahcen nach Creutzwald verfolgt, Département Moselle in Lothringen. Ihr Vater hat dort bis vor ein paar Monaten gelebt; die Tochter kam öfter zu Besuch. Der Mann soll wieder in Marokko sein. Nachbarn erinnern sich an eine "extrovertierte" Frau, die Alkohol getrunken habe, eine hübsche junge Frau, die ein bisschen planlos gewirkt habe. Als "femme cow-boy" kannte man sie, weil sie immer einen großen Hut trug. Doch das ist lange her. Seit fünf Jahren, sagen die Leute, habe man sie in Creutzwald nicht mehr gesehen.

Wann und wie genau sie sich radikalisiert hat, ist nicht klar; bis 2012 hatte sie noch in Épinay-sur-Seine gearbeitet, zehn Kilometer nördlich von Paris. Doch scheint ihre Zuwendung zum radikalen Islam in die gleiche Zeit zu fallen, als ihr Cousin in Belgien das Interesse an Drogen und Kleinkriminalität verlor und zum Dschihadisten wurde.

Er scheute sich nicht, Familienmitglieder für den Dschihad zu rekrutieren, nahm seinen damals 13 Jahre alten Bruder Younes mit nach Syrien. Seine Reisen zwischen dem Kriegsgebiet an der Levante und Europa versuchen die Ermittler gerade zu rekonstruieren.

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