Anti-Korruptions-Bewegung in Indien:Wie ein Gandhi-Anhänger die Regierung bloßstellt

Indiens Regierung wollte sich einen lästigen Kritiker vom Hals halten. Doch mit der Verhaftung des bekanntesten Antikorruptionsaktivisten des Landes wuchs die Wut im Volk über Vetternwirtschaft, Übervorteilung und Schmiergeldzahlungen. Jetzt musste die Regierung nachgeben und erlaubte den Hungerstreik des Gandhi-Anhängers Anna Hazare.

Es war eine schreckliche Nacht für Vivek Pai. Ein Freund war bei einem Autounfall getötet worden. Nun brauchte der junge Ingenieur aus dem westindischen Pune eine Bestätigung für die Einbalsamierung, damit der Leichnam nach Neu-Delhi gebracht werden konnte. "Ich musste im Krankenhaus Schmiergeld zahlen, damit jemand die Einbalsamierung vornahm. Aber das war noch nicht alles. Ich musste einem Angestellten 500 Rupien (8 Euro) für die Bestätigung bezahlen, damit die verzweifelten Eltern ihren Sohn ein letztes Mal sehen konnten", erzählt Pai. "Ich schäme mich für unser korruptes System."

Anti-Korruptions-Bewegung in Indien: Tausende Inder haben sich mit Anna Hazare solidarisiert.

Tausende Inder haben sich mit Anna Hazare solidarisiert.

(Foto: AFP)

In Indien zahlt man Schmiergeld, um eine Firma zu gründen, eine Wohnung zu registrieren, für einen Führerschein, Reisepass, sogar für den Universitätsabschluss. Aber was zu viel ist, ist zu viel. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gehen nun Menschen gegen die allgegenwärtige Korruption auf die Straße. Der prominente Anti-Korruptions-Aktivist Kisan Bapat Baburao Hazare, liebevoll "Anna" (großer Bruder) Hazare genannt, begann einen Hungerstreik - und treibt damit die Regierung vor sich her.

Der Ursprung dieser Korruption in Indien liegt in der sogenannten "Licence Raj", einem System von Lizenzen, Regulierungen und dem dazugehörigen Amtsschimmel, das 1991 abgeschafft wurde. Indien - die drittgrößte Wirtschaftsmacht Asiens - hält aber immer noch Rang 87 von 178 Staaten auf dem Korruptionsindex von Transparency International. Laut einer Studie der Forschungsgesellschaft IndiaForensic hat die Korruption Indien in den letzten zehn Jahren etwa 345 Milliarden Dollar (240 Milliarden Euro) gekostet.

Korruption hindert arme Inder daran, am wirtschaftlichen Aufschwung teilzuhaben. 2009 zahlte jeder Inder im Durchschnitt 2000 Rupien (ca. 20 Euro) an Schmiergeld - 260 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.

Geschäftsleute fürchten, dass Korruption ausländische Firmen von Investitionen abhält. Skandale wie die völlig verunglückte Organisation der Commonwealth Games, die Delhi im vergangenen Jahr zum internationalen Gespött machten, und eine 40-Milliarden-Dollar-Korruptionsaffäre um die Vergabe von Telefonlizenzen haben die Wut immer weiter geschürt. Die Folge war eine große Anti-Korruptionskampagne.

Gerade hat Hazare der Regierung im Kampf um ein schärferes Anti-Korruptions-Gesetz eine weitere Niederlage beigebracht: Unter massivem öffentlichen Druck hat die Polizei Hazare genehmigt, seinen Hungerstreik mindestens über die kommenden 15 Tage auf einem öffentlichen Gelände im Zentrum Neu-Delhis abhalten zu dürfen. Weitere Einschränkungen für den Protest des 74-Jährigen gebe es nicht, sagte Hazares enger Mitarbeiter Arvind Kejriwal am Donnerstag vor dem Tihar-Gefängnis in der indischen Hauptstadt.

Hazare und etwa 1400 seiner Anhänger waren am Dienstag vor dem geplanten Beginn des Hungerstreiks von der Polizei festgenommen worden. Nach seiner Freilassung noch am selben Tag hatte sich Hazare geweigert, das Tihar-Gefängnis zu verlassen, sollte ihm nicht erlaubt werden, seinen Protest ohne Einschränkungen öffentlich abzuhalten. Stattdessen begann der Gandhi-Anhänger seinen unbefristeten Hungerstreik im Gefängnis, vor dem sich zeitweise Tausende Unterstützer versammelten.

Landesweit waren am Mittwoch Zehntausende Inder für Hazare auf die Straße gegangen. "Wir danken den Menschen in diesem Land", sagte Kejriwal: "Sie haben gezeigt, was die Macht des Volkes erreichen kann." Die Polizei habe zudem zugesagt, die 15-Tage-Frist notfalls zu verlängern. Hazare darf nun auf dem Ramlila-Gelände im Zentrum Neu Delhis gemeinsam mit einer unbegrenzten Anzahl an Anhängern für ein schärferes Anti-Korruptions-Gesetz fasten. Die Behörden hatten dieses Gelände vor der Festnahme des Aktivisten nicht für den Protest freigegeben.

"Wir haben geschworen, kein Schmiergeld zu zahlen"

Der Gandhi-Anhänger hatte die Regierung bereits im April mit einem Hungerstreik, dem sich zahlreiche Menschen angeschlossen hatten, zu Verhandlungen über das Gesetz zu Anti-Korruptions-Maßnahmen gezwungen. Der am 4. August von der Regierung ins Parlament eingebrachte Gesetzvorschlag geht Hazare aber nicht weit genug. Einer der vielen Streitpunkte ist, ob auch der Premierminister und Richter unter die Gewalt einer neuen mächtigen Institution fallen sollen, die Korruption verfolgt.

Korruption beginnt ganz oben, davon sind viele Inder überzeugt. Die Gelder fließen von Politikern und hohen Beamten in die Taschen ihrer Untergebenen. Parteien kaufen Stimmen, in dem Wissen, dass die erfolgreichen Kandidaten durch Missbrauch ihrer Ämter wieder Geld hereinbringen. "Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen Korruption und schlechter Staatsführung. Die Korruption hat die Demokratie unterminiert", sagt BS Batwa von Transparency International Indien.

Auf der Webseite "Ipaidabribe.com" (IchhabeSchmiergeldbezahlt) kann man korrupte Beamte bloßstellen, man postet, wo man wieviel zahlen musste. Mit 13.000 Korruptionsfällen sei die Seite zum weltweit größten Sammelbecken für Opfer geworden, sagt einer der Koordinatoren des Angebots. Jetzt wird ein Showdown zwischen Bevölkerung und Politikern befürchtet. "Ich bin nicht optimistisch. Die Bewegung könnte gewalttätig werden, wenn die Regierung nicht schnell genug reagiert", sagt der Soziologe Shiv Vishvanathan.

Er sagt, dass die Aktivisten es nicht mit den gewieften Politikern aufnehmen können, die alles tun würden, um die Anti-Korruptionsbewegung zu unterdrücken. Wenn jedoch erst einmal mächtige Minister der Korruption überführt und verurteilt werden, könnte dies als Beispiel dienen, hofft Batwa. Am wichtigsten sei jedoch, dass die Menschen beginnen, sich zu weigern, Bestechungsgelder zu zahlen.

Rohit Singh aus Delhi ist einer von ihnen. "Meine Freunde und ich haben geschworen, kein Schmiergeld zu zahlen." Vor kurzem sollte er einen Polizisten bezahlen, um einer Verkehrsstrafe zu entgehen. "Ich habe darauf bestanden, die höhere Strafe zu bezahlen. Der Polizist war verwirrt und konnte nur verlegen lächeln", erzählt der Student.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: