Es mag eine kleine Zeitung in einem kleinen Bundesstaat sein. Und doch versinnbildlicht die Geschichte um den Portland Press Herald, welche Stimmung in den USA derzeit wahrzunehmen ist.
Die Zeitung aus dem US-Bundesstaat Maine veröffentlichte einen harmlosen Artikel über 3000 Muslime, die sich in Portland versammelten und gemeinsam friedlich zum Abschluss des Ramadans beteten. Zusätzlich druckte das Blatt ein Foto von dem Treffen mit auf die Titelseite.
Mit den heftigen Protesten der Leser, die diese Entscheidung nach sich ziehen würde, hatte da wohl noch kein Redakteur gerechnet.
Der Artikel - und das dazugehörige Foto - erschien am neunten Jahrestag von 9/11 und versetzte die Leser offensichtlich so in Rage, dass die Redaktion unzählige wütende Leserbriefe erhielt. Herausgeber Richard Connor sah sich gezwungen zu reagieren: Die Zeitung druckte eine förmliche Entschuldigung tags darauf, in der Connor eingestand, "viele Leser" mit der journalistischen Entscheidung "verletzt" zu haben - und bedauerte, an einem Tag wie den 11. September nicht die "richtige Balance" gefunden zu haben. Friedliebende amerikanische Muslime, die ihren Feiertag begehen: Das wollten die Leser am 11. September, am Tag der Trauer, offensichtlich nicht so prominent auf Seite eins ihrer Zeitung lesen. Übersetzen könnte man diese Entschuldigung, so ätzte Time-Blogger James Poniewozik, mit: "Entschuldigen Sie, liebe Leser, dass wir am 11. September Muslime als normale Menschen portraitiert haben."
Wer im Zuge des Moschee-Streits von New York konservative Medien wie Fox News oder Aussagen von Tea-Party-Politikern verfolgt hat, der wird dem Kommentator der New York Times, Nicholas Kristof, womöglich beipflichten: Muslime, so bedauert Kristof, gehören zu den letzten Minderheiten in Amerika, die man nach wie vor öffentlich erniedrigen kann, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Auftritte wie jüngst der von Mahmud Ahmadinedschad vor der UN-Generalversammlung, bei dem sich Irans Präsident zu Verschwörungstheorien rund um 9/11 verstieg, heizen die Stimmung gegen Muslime weiter an.
In der Tat berichten die Medien von überwältigend vielen Vorkommnissen, die auf eine regelrechte Islamphobie im Land hindeuten - und zwar auch auf einheimische Muslime. Ein Taxifahrer in New York wurde niedergestochen, nur weil er Muslim ist. Ein New Yorker Bauarbeiter wurde während einer Anti-Moschee-Kundgebung attackiert, weil er muslimisch aussieht. Auf der Baustelle einer Moschee in Murfreesboro, Tennessee, wurde ein Feuer gelegt.
Voller Abscheu zählen linksliberale Stimmen die Verbrechen auf und stellen beinahe ebenso alarmistisch die Frage, ob der Anti-Islamismus der McCarthyismus des neuen Jahrtausends ist. Damals veranstaltete man regelrechte Kampagnen gegen vermeintliche Kommunisten.
Doch Amerika wäre nicht das Land der Gegensätze, wenn die heftige Agitation nicht eine ebenso resolute Gegenbewegung auslösen würde. Der Widerstand gegen diese antiislamische Stimmung wächst, wenngleich ihm medial ungleich weniger Platz eingeräumt wird. "Es ist nicht zu leugnen, dass es eine anti-muslimische Stimmung im Land gibt", sagt Joseph Cumming vom Yale Center for Faith and Culture. "Aber es gibt auch eine beinahe ebenso heftige Gegenreaktion von Menschen, die diese Islamphobie ablehnen und sich auf die Seite der muslimischen Amerikaner stellen." Der Direktor des "Versöhnungsprogramms" an der Yale-Universität, das Brücken bauen will zwischen Islam und Christentum, zeigt sich im Gespräch mit sueddeutsche.de einerseits besorgt, andererseits aber auch vorsichtig optimistisch. "Ich glaube, das Thema ist nicht nur über Gebühr in den Medien behandelt worden, es wurde von den Medien mit verursacht", sagt Cumming. Statistiken belegen, dass Cumming vielleicht gar nicht so falsch liegt. Demnach ist die Zahl der Verbrechen gegen jüdische Bürger nach wie vor weit aus höher als jene gegen Muslime.
"Ermutigende Gegenwelle"
Zuversichtlich stimmt Cumming auch, welche Parteien ihre Stimme für die Muslime in Amerika erheben: Die National Association of Evangelicals (NAE), der Dachverband der Evangelikalen in Amerika und Vertreter von landesweit etwa 45.000 Kirchen, hat lautstark gegen antimuslimische Tiraden protestiert und sich an die Seite der amerikanischen Muslime gestellt.
Für alle jene islamophoben Stimmen, für die das Amerikanersein unverrückbar mit dem Christsein verwoben und der Islam also unamerikanisch und verachtenswert ist, hat Richard Cizik eine Botschaft parat: "Ich sage 'schämt euch' zu all jenen Evangelikalen, die religiös intolerant gegenüber Muslimen sind und sie verspotten oder diskriminieren. Es bringt Schande über uns alle, die Jesus und seine Kirche lieben."
Cizik, ehemaliger Vizepräsident der NAE und Gründer der "New Evangelical Partnership for the Common Good", sieht die Probleme aber nicht in einem neuen Rassismus, sondern schlicht in Ignoranz. Das zeigen nicht zuletzt Umfragen, wonach Menschen, die keine Muslime zu ihren Freunden zählen, weitaus skeptischer gegenüber dem Islam sind. Mit zahlreichen Programmen, die seine Organisation gemeinsam mit muslimischen Verbänden durchführt, will Cizik diese Ignoranz bekämpfen. "Diese Programme werden uns helfen, die Pläne der radikalen Rechten abzuwenden, den Islam als das neue 'böse Reich' abzustempeln", sagt Cizik zu sueddeutsche.de. Cizik ist ein vielbeschäftigter Mann. Im April gab es ein gemeinsames Programm mit Evangelikalen und Muslimen, im November soll ein weiteres folgen. Über zu wenig Arbeit kann sich Brückenbauer Cumming auch nicht beschweren. Der Trubel um Pastor Jones aus Florida, der am Gedenktag des 11. September eine Koran-Verbrennung veranstalten wollte, erreichte auch den Yale-Mann - allerdings anders als man denken könnte.
Ob seine Arbeit der Versöhnung zwischen den beiden Weltreligionen angesichts der Stimmung schwieriger geworden ist? Cumming überlegt. "Jedes Mal, wenn irgendjemand etwas Verrücktes macht wie Pastor Jones damals, klingelt bei uns das Telefon", sagt er. "Es rufen Christen an: Pastoren und Kirchenleute, die sich Ratschläge vom Direktor des Versöhnungsprogramms holen wollen, wie sie mit ihren jeweiligen muslimischen Mitbürgern in der Nachbarschaft möglichst freundschaftliche und gute Beziehungen aufbauen können." Diese Gegenwelle, sagt Cumming, "ermutigt uns sehr in unserer Arbeit".