Anti-Islam-Video:Wenn die Macht der Internetkonzerne zum Problem wird

Wird aus den Facebook-Revolutionen des arabischen Frühlings ein Youtube-Herbst? Hass-Prediger können im Internet mit einem Schmäh-Video ebenso mobilisieren wie die Aufständischen im Nahen Osten. Das Netz kann dabei helfen, demokratische Institutionen aufzubauen - und zu zerstören. Problematisch ist vor allem der immense Einfluss der Internetkonzerne.

Alexandra Borchardt

Es wäre so schön gewesen. Es hätte der Demokraten-Seele so gut getan, das Internet endlich als eine Technologie in den Händen der Vielen zu wissen, die die Sehnsucht nach Freiheit wie eine hochansteckende Krankheit in der Welt verbreiten. Und deren Genesungsprozess direkt in demokratische Strukturen mündet. Nun muss manch ein Idealist kräftig schlucken.

Anti-Islam-Video: Proteste in Pakistan gegen das umstrittene Mohammed-Schmäh-Video: Das Internet kann helfen, demokratische Institutionen aufzubauen - bietet aber auch radikalen Interessenvertretern, Extremisten und Verrückten eine Plattform.

Proteste in Pakistan gegen das umstrittene Mohammed-Schmäh-Video: Das Internet kann helfen, demokratische Institutionen aufzubauen - bietet aber auch radikalen Interessenvertretern, Extremisten und Verrückten eine Plattform.

(Foto: AFP)

Denn zwar haben die Aufständischen im Nahen Osten bei ihrer Mobilisierung stark von den Möglichkeiten des Netzes und mobiler Geräte profitiert. Doch wird nun klar, dass sich ein Schmäh-Video verirrter Hass-Prediger über diese Kanäle ebenso schnell um den Globus schicken lässt und ebenso ansteckend wirken kann. Wird aus den Facebook-Revolutionen des arabischen Frühlings nun ein Youtube-Herbst?

Aus den Entwicklungen dieser Tage lässt sich einiges lernen. Auf der Hand liegt die simple Erkenntnis: Das Internet selbst schafft keine Demokratie. Die entsteht nur über starke Institutionen wie konkurrierende politische Parteien, unabhängige Gerichte und in sorgsam erdachten Wahlverfahren bestimmte Parlamente. Und starke Medien, die aufklären, Themen setzen, Interessen bündeln und allzu radikalen Kräften keine Bühne geben.

Völker, die sich von Diktatoren befreit haben, können das Netz zwar nutzen, um solche Institutionen aufzubauen, denn keine Technologie bietet so viele Möglichkeiten zum Lernen, zur Information und Rückkoppelung mit den Bürgern. Aber ohne den unbedingten Willen aller wichtigen Akteure, das Abenteuer Demokratie wagen zu wollen, wird sich auch keine entwickeln. Jede Gesellschaft muss in der realen Welt um ihre Werte ringen.

Zweite Erkenntnis: Das Internet ist zunächst nur ein Medium und damit neutral. Es ist jedoch ungleich wirkungsvoller, als Druckerpressen, Radiosender oder Fernsehkanäle dies für die Widerstandsbewegungen früherer Zeiten waren. Informationen, Meinungen und Bilder lassen sich darüber praktisch kaum gefiltert in Echtzeit und weltweit verbreiten.

Damit bietet das Netz radikalen Interessenvertretern, Extremisten und Verrückten eine Plattform, die sie auf anderen Kanälen nie bekommen hätten. "Das Internet dient eben nicht nur den ,Guten', sondern auch den ,Bösen'", resümiert Professorin Marianne Kneuer, die an der Universität Hildesheim den Forschungsschwerpunkt Politik und Internet leitet.

Google hat seine Unschuld längst verloren

Dieser Grundsatz gilt nicht nur für zündelnde Randgruppen, sondern auch für Regime. Denn das Netz ermöglicht Diktatoren und Autokraten ganz neue Möglichkeiten, ihr Volk zu überwachen, zu manipulieren und Gegner zu identifizieren. In Syrien zum Beispiel wurde schon manch ein Oppositioneller über die Ortung seines Mobilfunkgeräts aufgespürt. Und niemand weiß, ob vermeintliche Internet-Rebellen Lockvögel der Regierung sind.

Während hierzulande über die Verfügbarkeit von Kinderpornografie per Mausklick diskutiert wird, sieht die scheinbar so offene Netz-Welt in einigen Diktaturen schon so aus, wie deren Mächtige sich das wünschen. Dies geschieht übrigens auch mithilfe westlicher IT-Firmen, die den Unterdrückern gerne Soft- und Hardware zur Unterdrückung liefern.

Aus Demokratie-Perspektive besonders problematisch ist die immense Macht der Internetkonzerne. Google (Firmenslogan: don't be evil) und Co. stellen sich gerne als neutrale Instanzen dar, die jedermann die Welt öffnen und nur Regierungs- oder Gerichtsanweisungen folgen, wenn es um die Blockade fragwürdiger Inhalte geht. Die Reaktion auf die neuen Tumulte, die das über die Google-Tochter Youtube verbreitete Hetz-Video ausgelöst hatte, zeigt aber, dass der Konzern seine Unschuld längst verloren hat: In Ägypten und Libyen verhinderte er die Ausstrahlung aus eigenem Ermessen.

Nun wird es dazu Kontakte ins Weiße Haus gegeben haben. Aber man stelle sich vor: Statt einer demokratisch gewählten Regierung, die sich auf den Rat von Hunderten Experten in Behörden und Geheimdiensten, auf den Willen von Parlamentariern berufen kann oder statt einer internationalen Organisation, die mühsam die Spielregeln der Diplomatie orchestriert, entscheidet eine kleine Vorstandsrunde in einem von keinem Volk legitimierten Konzern darüber, welche Information in die Welt gehört und welche nicht. Der Harvard-Professor Jonathan Zittrain betont deshalb die Rolle der Internetkonzerne als Wächter über die Meinungsfreiheit. Sie könnten aber ebenso Wächter über die Sicherheit werden.

Die Freiheitsrechte des einen mit den Schutzrechten des anderen zu balancieren, ist eine der vornehmsten Aufgaben des demokratischen Rechtsstaats, sie sollte ihm vorbehalten bleiben. Von einem Konzern ist das deutlich zu viel verlangt.

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