Anti-Aggressivitäts-Trainer:"Mit Brutalität kann ich mir Respekt verschaffen"

Lesezeit: 3 Min.

„Wer erzieht mein Herz?“: Burak Özüak ist Anti-Agressivitäts-Trainer. (Foto: Privat)

Burak Özüak weiß aus eigener Erfahrung, warum Schüler gewalttätig werden. Er bringt ihnen bei, ihre Aggressionen besser zu beherrschen.

Interview von Roland Preuß

Burak Özüak nennt sich Anti-Aggressivitäts-Trainer, er bringt Kindern und Jugendlichen bei, wie man gewaltfrei durchs Leben kommt. Der 43-Jährige berät zudem in Stuttgart und Umgebung verschiedene Einrichtungen wie Schulen oder Gefängnisse, wie sie mit gewaltbereiten Menschen umgehen sollen. Özüak war einst selbst gewalttätig, als Jugendliche lieferten er und seine Clique sich Revierkämpfe mit anderen Gruppen, er schlug zu, hatte mit Drogen zu tun und landete im Gefängnis. Er entschied sich schließlich, einen anderen Weg einzuschlagen.

SZ: Herr Özüak, warum begehen Jugendliche Gewalttaten?

Burak Özüak: Das hat meistens mit Anerkennung durch Gleichaltrige zu tun. Viele gewaltbereite Jugendliche haben sonst nichts, mit dem sie sich Respekt verschaffen könnten. Sie sind in der Schule und anderswo gescheitert, aber sie stellen fest: Mit Brutalität kann ich mir Respekt verschaffen. Und je brutaler ich bin, desto mehr Anerkennung bekomme ich.

Inwiefern können Polizei und Justiz dies stoppen?

Das kann lange dauern. Nehmen Sie ein Beispiel aus meiner Praxis, ein Jugendlicher, der seit zwei Jahren im Gefängnis sitzt. Ihm ging es um Status, teure Klamotten, Handys, materielle Dinge. Nach den ersten Delikten bekam er jeweils Arbeitsstunden auferlegt, doch er nahm das nicht ernst und dachte sich: Cool, ich kann tun und lassen, was ich will! Selbst der Jugendarrest hat nicht geholfen, für ihn war das ein Ritterschlag.

So ein Arrest brachte ihm noch mehr Anerkennung, weil er damit als harter Kerl dasteht?

Ja. Und an seiner Haltung zu Straftaten hatte sich nichts geändert. Erst als er jemanden ins Koma prügelte, bekam er die Haftstrafe und machte sich richtig Gedanken. Nun kommt es auf seine Haltung und Einstellung an. Schlägt er einen grundlegend anderen Weg ein? Oder kreist seine Welt weiterhin um Ehre, Stolz, Gewinnen oder Verlieren? Dann wird er im Knast seine kriminellen Fähigkeiten sogar noch verbessern.

Stammen jugendliche Straftäter eher aus armen Familien? Welche Konstellationen sind typisch?

Nach meiner Erfahrung stammen viele aus Familien, in denen zu Hause Gewalt ausgeübt wird, so lernen sie, Probleme mit Schlägen zu lösen. Viele sind aus sozialen Brennpunkten, wachsen bei einem alleinerziehenden Elternteil auf. Aber nicht nur, meine Klientel kommt aus allen Schichten. Und dann gibt es Fälle wie den vorhin beschriebenen. Der Jugendliche hat arabische Wurzeln, war immer nur geduldet und durfte deshalb nicht arbeiten. Der hat keine Chance auf eine Perspektive durch legale Arbeit.

Die aktuelle Befragung durch Kriminologen hat ergeben, dass Jugendliche wieder mehr Schule schwänzen. Welche Rolle spielt das?

Das ist ein Alarmsignal. Sieben von zehn Jugendlichen, mit denen ich zu tun habe, haben nach der 7. Klasse aufgehört, in die Schule zu gehen, trotz Schulpflicht. Die erzählen mir dann: Meine Lehrer bezeichnen mich als gewalttätig, als Kriminellen, als Analphabeten. Die sind froh, dass sie mich los sind. Auch das empfinden viele wieder als Ritterschlag, doch es prägt auch ihr Selbstbild. Ich kann das nicht, ihr wollt mich nicht.

Wie erreichen Sie diese Gewalttäter ?

Diesen Jugendlichen fehlen Menschen, die Zugang zu ihnen haben, sie in ihrer Lebenswelt abholen.

Was heißt das konkret?

Wer signalisiert mir, dass ich gebraucht werde? Wo gibt es eine Bühne, auf der ich mich geschützt ausleben kann? Wer erzieht mein Herz? Eigentlich müssten das Familie und Gesellschaft leisten. Ich höre den Jugendlichen zu, versuche, ihrem Frust und ihrem Motiv nachzuspüren. Wir greifen Situationen aus der Praxis auf, um den Ursachen einer Eskalation auf den Grund zu gehen. Wenn dich jemand als "Hurensohn" beleidigt, warum rastest du dann so aus? Was ist dein Anteil daran? Warum willst du deine verirrten Gedankenmuster aufrechterhalten? Hierbei sollte man auch an den Werten ansetzen, die ihnen so wichtig sind, über die Vorstellungen von Ehre, Stolz und Religion sprechen, über das Bild von Vater und Mutter.

Hilft da Ihre eigene Erfahrung als jugendlicher Straftäter?

Die Jungs merken jedenfalls, da ist einer, der kann sich in mich hineinversetzen. Die wollen aber vor allem ein authentisches, ehrliches Gegenüber, die spüren das.

Die Befragung der Kriminologen hat ergeben, dass Jugendliche aus Migrantenfamilien, mit Wurzeln in der Türkei oder Ex-Jugoslawien, deutlich häufiger durch Gewalttaten auffallen als andere. Inwiefern reden wir über Probleme, die Zuwanderer und ihre Kinder betreffen?

Ich will da gar nichts entschuldigen, aber viele dieser Jugendlichen haben harte Diskriminierungserfahrungen gemacht. Mit ihrem Namen sind sie automatisch Nicht-deutsche, obwohl sie hier aufgewachsen sind und geprägt sind durch dieses Land. Die sind sehr deutsch. Ihre Stellenbewerbungen werden trotzdem abgelehnt. Es ist viel zu einfach, nur zu sagen: Das sind die Türken oder Serben, die da zuschlagen.

© SZ vom 01.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: