Nach dem Anschlag in Magdeburg verdichten sich die Hinweise darauf, dass Polizei und Behörden die Tat womöglich durch einen ordnungsgemäßen Schutz des Weihnachtsmarktes hätten verhindern können. Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt bestätigte am Donnerstag, dass sich ein Polizeifahrzeug zum Schutz des Geländes nicht an dem Standort befand, der nach der polizeilichen Einsatzkonzeption vorgesehen war. „Warum dies so war, ist Gegenstand der weiteren Aufarbeitung.“ Polizeiautos werden regelmäßig dazu genutzt, die Zufahrt zu geschützten Bereichen zu versperren. Zudem wird laut Landesinnenministerium ermittelt, inwiefern der Veranstalter das Sicherheitskonzept eingehalten habe.
Das Ministerium erklärte weiter, es seien Strafanzeigen gegen Stadt und Polizei eingegangen. Die Anzeigen gestellt hatte laut Innenministerium unter anderen das Kriminalistische Institut Jena; der Verein bietet Weiterbildungen für Kriminalbeamte, Staatsanwälte und Richter sowie Gutachten an. In der Anzeige wirft das Institut den Verantwortlichen laut Magdeburger Volksstimme vor, sie hätten es unterlassen, den Weihnachtsmarkt gegen Attentate zu schützen, weil sie nicht die nötigen technischen Absperrungen veranlassten oder vornahmen, etwa durch abgestellte Fahrzeuge oder bewegliche Zäune.
Fünf Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt
Am Freitagabend war ein 50-Jähriger mit einem Auto durch die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg gefahren. Er war über eine Rettungsgasse auf den Markt gelangt. Durch seine Fahrt quer über den Markt starben fünf Menschen, mehr als 200 wurden teils schwer verletzt. Bei dem Fahrer handelt es sich um einen seit 2006 in Deutschland lebenden Mann aus Saudi-Arabien, der zuletzt in Bernburg bei Magdeburg als Arzt arbeitete. Er war in den sozialen Netzwerken als aggressiver Islamkritiker, durch verbale Ausfälle und als AfD-Sympathisant aufgefallen. Er sitzt in Untersuchungshaft.
Der Mann war in den vergangenen Jahren immer wieder mit Behörden in Konflikt geraten, unter anderem durch Drohungen. Die Polizei hatte ihn laut MDR im Zuge einer Gefährderansprache mehrfach kontaktiert. Die umfangreiche Vorgeschichte befeuert die Debatte darüber, ob die Behörden ihre Informationen ausreichend abgeglichen und angemessen reagiert haben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte am Donnerstag der Süddeutschen Zeitung, sobald die Ermittlungen ein klares Bild vom Täter und allen Hintergründen der Tat in Magdeburg ergeben hätten, würden daraus die notwendigen Schlüsse gezogen. „Dazu gehört, genau zu prüfen, welche Mechanismen geschärft und welche Informationen zusammengeführt werden müssen, um die Gefährlichkeit von Personen so präzise wie nur möglich zu ermitteln.“
Der Bundesrat hatte Faesers Sicherheitspaket abgelehnt
Faeser bekräftigte ihre Forderung, dass die Sicherheitsbehörden mehr Personal und alle notwendigen Befugnisse zur Bekämpfung von Terrorismus und schweren Straftaten bräuchten. „Unsere Gesetzentwürfe liegen dem Parlament vor und sollten dringend beschlossen werden: das neue Bundespolizeigesetz, die Gesichtserkennung von Terrorverdächtigen und Schwerkriminellen sowie die vom Bundesverfassungsgericht verlangten Konkretisierungen des BKA-Gesetzes im Bereich Terrorismusbekämpfung“, sagte die Innenministerin. „Unsere Gesetzentwürfe könnten sofort beschlossen werden, wenn Union und FDP sich dem nicht verweigern.“ Nötig sei zudem eine rechtssichere Speicherpflicht von IP-Adressen, diese sei im Kampf gegen Kriminalität und Terrorismus „essenziell“.
Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz sagte der SZ, wenn Frau Faeser es ernst meine mit ihren Forderungen, dann müsse sie jetzt den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zum Sicherheitspaket anrufen. „Dann besteht die Chance, in den verbleibenden Wochen bis zur Bundestagswahl noch einen echten Fortschritt für die Sicherheit in unserem Land zu erzielen“, sagte Lindholz. Teile des Pakets waren im Bundesrat mit Stimmen von unionsgeführten Ländern als unzureichend abgelehnt worden. Auch eine Mindestspeicherfrist für IP-Adressen fordere die Union seit vielen Jahren. „Klar ist, dass wir unsere Bevölkerung besser schützen müssen.“
Am kommenden Montag soll der Innenausschuss des Bundestages über den Anschlag in Magdeburg beraten, Ministerin Faeser sowie Vertreter des Bundeskriminalamts sollen den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Laut dem SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese wird auch die Innenministerin von Sachsen-Anhalt, Tamara Zieschang (CDU), geladen werden. Sie erwarte von der Sitzung, dass die Behördenvertreter genau darlegten, welche Behörde zu welchem Zeitpunkt welche Hinweise erhalten habe, sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland, sagte Lindholz. „Wir wollen wissen, was mit diesen Hinweisen passiert ist.“
Nach Angaben der Uniklinik Magdeburg ist von den Schwerverletzten des Anschlags, die in Magdeburg behandelt werden, niemand mehr in Lebensgefahr.