Ein Ziel haben die Terroristen in Kaschmir auf jeden Fall erreicht: Die Spannungen zwischen den ohnehin verfeindeten Bruderstaaten Indien und Pakistan steigen wieder. Delhi hat am Donnerstag die Visa-Ausgabe an Pakistaner beendet und die Ausreise pakistanischer Bürger aus seinem Staatsgebiet angeordnet. Alle gültigen Aufenthaltsgenehmigungen für Pakistaner würden widerrufen, teilte das indische Außenministerium mit. Ihnen blieben somit 72 Stunden, um das Land zu verlassen. Außerdem rief die indische Regierung ihre eigenen Staatsbürger aus Pakistan zurück.
Die indische Regierung hat darüber hinaus angekündigt, den „Indus Water Treaty“, den Indus-Wasservertrag mit Pakistan, aufzuheben, wie The Hindu berichtete. Das würde das von Überschwemmungen und Trockenheiten geplagte Pakistan hart treffen. „Indiens rücksichtslose Aussetzung des Indus-Wasservertrags ist ein Akt des Wasserkriegs, ein feiger, illegaler Schritt“, schrieb Pakistans Energieminister Awais Leghari daraufhin auf der Plattform X. Pakistan reagierte mit einer Schließung des Luftraums für indische Fluggesellschaften, wies Diplomaten des Nachbarlands aus und suspendierte alle Visa, die es indischen Bürgern ausgestellt hatte.
Zuvor hatten die indischen Ermittler die Namen von drei der vier Männer veröffentlicht, die am Dienstag bei einem Massaker an Touristen in dem Erholungsort Pahalgam 26 Männer regelrecht hinrichteten. Zwei der Angreifer besitzen demnach die pakistanische Staatsangehörigkeit. Das passt zum Vorwurf des staatlich geförderten Terrorismus, den Indien, aber auch viele andere Länder Islamabad immer wieder machen. Immerhin wurde Osama bin Laden auf pakistanischem Boden getötet, nachdem er dort Zuflucht gefunden hatte.
Aus nächster Nähe erschossen
Auch zum Hergang der Tat wurden mehr Details bekannt. Demnach trennten die Attentäter die Männer von den Frauen und Kindern, fragten sie nach ihren Namen und erschossen sie dann aus nächster Nähe. Etwa 1300 Touristen und Personal befanden sich am Dienstag auf den Bergwiesen des Baisaran-Tals, eines pittoresken Urlaubsgebiets inmitten dichter Kiefernwälder. Bis vor zwei Tagen galt die Gegend als „kleine Schweiz“ der Region.
Mehrere Zeugen berichten nun, dass die Angreifer ihre Opfer aufgefordert hatten, islamische Verse aufzusagen. Wenn sie dazu nicht in der Lage waren, wurden sie erschossen. Die Nachrichtenagentur Reuters sprach mit Debasish Bhattacharyya, einem Hindu, den die Attentäter ebenfalls bedrohten. Er war jedoch mit den Versen vertraut, da er in einem muslimischen Viertel aufgewachsen ist. „Ich kannte die Worte, und in diesem Moment war das wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, unser Leben zu retten. Diejenigen, die versagten, wurden getötet“, erklärte Bhattacharyya.

Die Angreifer trugen die traditionell langen Hemden und weiten Hosen der Region, einer von ihnen auch eine Bodycam, sagte ein Sicherheitsbeamter Reuters und fügte hinzu, dass die Militanten das Feuer an drei Stellen im Baisaran-Tal eröffneten. Einige Touristen wurden in den Gaststätten und vor ihren Zelten auf der Wiese erschossen, während andere in die Wälder gebracht und dort getötet wurden. Nach den Attentätern wird weiterhin gefahndet. Die indische Regierung vermutet, dass sie sich in den pakistanischen Teil der Region zurückziehen konnten.
Die Feindschaft zwischen Indien und Pakistan hat sich seit ihrer Gründung nie gelegt
Pakistan und Indien entstanden nach der Unabhängigkeit von Großbritannien im Jahr 1947. Nachdem Muhammad Ali Jinnah, Anführer der muslimischen Minderheit in Britisch-Indien, darauf bestanden hatte, einen eigenen Staat für seine Glaubensgemeinschaft zu gründen, trennten die Briten ihr Reich entsprechend auf – sehr zum Kummer von Mahatma Gandhi. Der Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung war immer für einen gemeinsamen Staat eingetreten.
Schon bei der Trennung und dem daraus resultierenden Bevölkerungsaustausch brachten sich Hunderttausende Hindus und Muslime gegenseitig um. Die Feindschaft hat sich nie gelegt. Die in Indien regierende Bharatiya-Janata-Partei gewann drei Wahlen in Folge, unter anderem mit einem offen muslimfeindlichen Kurs. Es leben heute allerdings immer noch etwa 140 Millionen Muslime in Indien.
Dass Indien wirtschaftlich boomt und sich viel besser entwickelt hat als Pakistan, gilt vielen Inderinnen und Indern als Beweis für die Überlegenheit ihres Glaubens. Ein Teil des Problems dürfte aber auch das pakistanische Militär sein, das seit der Unabhängigkeit immer wieder geputscht hat. Das harte Vorgehen der Generäle, auch gegen ethnische Minderheiten in Randgebieten des Landes, hat vor allem den Terrorismus boomen lassen. Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat das Problem in Pakistan verschärft, weil die pakistanischen Taliban auf ihr Gebiet zurückgedrängt wurden. Die indische Regierung hat wiederholt gemahnt, dass der Terror auch nach Indien überschwappen könnte. Delhi und Kabul liegen nur 990 Kilometer Luftlinie voneinander entfernt.
Der Indus ist die Lebensader Pakistans
Delhi hat am Donnerstag nach einem Treffen des Sicherheitskabinetts reagiert: Der Grenzübergang in Attari wird geschlossen, pakistanischen Staatsbürgern, die bisher mit einer Ausnahmegenehmigung nach Indien reisen konnten, wird die Einreise verwehrt. Verteidigungsattachés der pakistanischen High Commission werden zu unerwünschten Personen erklärt, außerdem werden die jeweiligen Landesvertretungen in Delhi und Islamabad von 55 auf 30 Personen reduziert. Vor allem aber wird der „Indus Water Treaty“ ausgesetzt. Der Indus entspringt in Tibet, das von China besetzt ist; er führt über den indischen Teil Kaschmirs bis nach Pakistan, wo er sich in mehrere wichtige Flüsse teilt. Er ist der wichtigste Strom Pakistans.
Die Aussetzung kann bedeuten, dass Indien sich nicht mehr verpflichtet fühlt, den Nachbarn vor Hochwasser zu warnen, dass man Stauseeprojekte ohne Absprache vorantreiben und Stauseen jederzeit ablassen kann. Das würde Pakistan vor allem in der Hauptmonsunzeit treffen; vor zwei Jahren wurde ein Drittel des Landes überflutet und stand wochenlang unter Wasser. Eine Befüllung zum Zeitpunkt der Aussaat in Pakistan könnte wiederum die Ernte verderben.
Der von der Weltbank vermittelte und 1960 unterzeichnete Indus-Wasservertrag regelte die Aufteilung und hat seither sogar Kriege zwischen den Nachbarn überstanden. Wirklich gewinnen konnten die Terroristen durch ihren Anschlag also nichts, außer den Konflikt zweier Atommächte weiter anzuheizen. Denn auch wenn Indien und Pakistan durch ihren Glauben getrennt sind, bleiben sie verbunden durch gemeinsame Geschichte, Kultur – und durch Geografie.