Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Tunis:Das Ende des Frühlings

Für Tunesien ist der Anschlag auf das Museum in Tunis ein Desaster: Die dringend benötigten Touristen werden nun fernbleiben. Für die arabische Welt ist das Attentat ein Menetekel: Die Hoffnung auf Frieden und Demokratie hat sich endgültig zerschlagen.

Kommentar von Tomas Avenarius

So furchtbar das Attentat im Museum von Tunis wegen der hohen Opferzahl ist, so absehbar war es auch. Mehr noch, es war beinahe schon zwingend. Islamistische Terroristen finden ihre Bühne derzeit fast überall, wo sie eine suchen - ob in Paris, Kopenhagen, Nairobi oder eben in Tunis.

Besonders geeignet als Ziele sind in den Augen der Gewalttäter stets die Orte, an denen sich Ausländer in größerer Zahl einfinden, also die bekannten Anziehungspunkte für Touristen: Botschaften, Flughäfen, Einkaufszentren, Museen, Tempelruinen oder Badeorte.

Jede Menge militante Islamisten

Wer geglaubt hat, Tunesien als das angeblich erfolgreiche, demokratische Vorbildland des Arabischen Frühlings bilde da eine überlebenssichernde Ausnahme, hat sich getäuscht oder etwas vorgemacht.

Der kleine, nordafrikanische Mittelmeerstaat ist ein klassisches Reiseland, das Museum und das Parlament liegen im Zentrum der Hauptstadt, die Überwachung durch eine häufig unzuverlässige und wenig motivierte Polizei ist fehlerbehaftet. Da ist in der Terrorlogik der Dschihadisten der nächste Schritt nicht weit.

Und militante Islamisten gibt es in Tunesien jede Menge. Tunesier stellen nicht nur eine der größten Gruppen unter den ausländischen Fußsoldaten des Islamischen Staats im Irak und in Syrien. In dem Städtchen Kairouan hatten die Extremisten schon kurz nach dem Sturz der Ben-Ali-Diktatur wie in einer Theaterposse vor laufenden Fernsehkameras als "Allahs Armee" paradiert, zu Pferd und mit Schwertern.

Auch die Front im Land selbst ist seit Längerem eröffnet. In den Bergen an der Grenze zum ebenfalls unruhigen Nachbarland Algerien führt die Armee einen nicht sonderlich erfolgreichen Kleinkrieg gegen islamistische Heckenschützen, Bombenleger, Entführer und Kopfabschneider.

Für das Land und seine Menschen ist die Schießerei vor dem Parlament und die Geiselnahme im Museum von Tunis eine kaum abzuschätzende Katastrophe. Die tunesische Regierung wird das Terrorproblem nicht von heute auf morgen in den Griff bekommen - während die internationale Tourismusbranche sofort reagieren wird.

Die Gästezahl wird drastisch sinken, die Reiseveranstalter werden Ausweichziele anbieten, der Besucherstrom wird rasch versiegen und für ein, zwei Jahre zu einem Rinnsal werden. Für einen Staat mit den wirtschaftlichen Problemen Tunesiens, der alle Einnahmen aus dem Tourismus dringend braucht, ist das ein Desaster.

Die Lehren daraus sind bitter. Jeder sollte spätestens jetzt einsehen, dass der sogenannte Arabische Frühling grandios gescheitert ist und die Region auf Jahre hin sehr instabil bleiben wird. Die Länder dort eignen sich damit ohne klare Risikoabschätzung weder als Reiseziel noch als politische Partner oder Investitionsstandorte.

Die 2011 erhoffte Demokratisierung in den Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas, die sich damals als reale Möglichkeit abzuzeichnen schien, wird in absehbarer Zeit ganz sicher nicht stattfinden.

Entwickelt sich Tunesien nun wie Ägypten

Als Reaktion auf den ausbleibenden Regimewechsel einer ganzen Region verstetigt sich der islamistische Terror und damit auch die staatliche Repression. Einerseits fühlen sich die wenigstens nach außen hin demokratisch auftretenden islamischen Politiker wegen der Beharrungskraft der alten Regime um die greifbar nahe Macht betrogen - siehe Ägypten.

Und die Islamisten, die ohnehin nur an den Dschihad und nie an Wahlen geglaubt haben, sehen sich bestätigt im Ruf nach Gewalt. Die neuen Regierungen finden so die politische Rechtfertigung für die Wiedereinführung der autoritären Herrschaft, alles im Kampf gegen den Terror. Ägypten mit seinem Mubarak-Zögling al-Sisi ist das beste Beispiel. Das halbwegs demokratisch agierende Tunesien könnte sich bald in diese Richtung bewegen.

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SZ vom 19.03.2015/odg
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