Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Stockholm:Usbekistan rückt ins Zentrum des Terrors

  • Der mutmaßliche Attentäter von Stockholm ist Usbeke, wie schon einige Attentäter bei Anschlägen zuvor.
  • Viele IS-Krieger stammen aus Usbekistan und seinen Nachbarländern und würden vor allem in Russland rekrutiert. Zudem ist die "Islamische Bewegung Usbekistans" eine der aktivsten Extremisten-Gruppen in Zentralasien.
  • Kritiker behaupten, die Regierungen in Zentralasien würden die Terrorbedrohung ausnutzen, um hart gegen die Opposition vorgehen zu können.

Analyse von Thomas Hummel

Der neue Präsident Usbekistans war gerade in Moskau. Schwakat Mirsijajew leistete einen Antrittsbesuch bei Wladimir Putin, dabei ging es vor allem um Wirtschaftsverträge, allein der halbstaatliche russische Gasproduzent Gazprom schloss einen Milliardenvertrag mit den Usbeken ab. Außerdem hieß es im russischen Parlament, man sei an einer militärisch-technischen Zusammenarbeit interessiert, um den Konkurrenten USA aus der Gegend fernzuhalten.

Mirsijajew ist seit Dezember im Amt, zuvor hatte der Quasi-Diktator Islom Karimow von der Unabhängigkeit Usbekistans 1991 bis zu seinem Tod im September geherrscht. Die neue Regierung möchte sich vor allem den Russen öffnen. Allerdings hat sie augenscheinlich auch ein Problem geerbt: den Terror.

Kam es zuletzt zu Anschlägen, waren einige Male Terroristen usbekischer Herkunft beteiligt. Im Juni 2016 zündeten drei Selbstmordattentäter am Flughafen Atatürk in Istanbul Bomben, die Männer kamen den Ermittlungen zufolge aus Kirgistan, der russischen Provinz Dagestan und aus Usbekistan. 43 Tote, fast 250 Verletzte. Die türkischen Behörden machten den sogenannten Islamischen Staat (IS) verantwortlich.

An Silvester betrat ein Mann in Istanbul den Nachtklub "Reina" und erschoss 39 Menschen. Er kam aus Usbekistan, befolgte einen Auftrag des IS und soll als bezahlter Auftragskiller gearbeitet haben.

"Nichts deute darauf hin, dass wir die falsche Person gefasst haben"

Am Montag zündete ein Mann in der U-Bahn von Sankt Petersburg eine Bombe. Dabei starben 14 Menschen, etwa 50 wurden verletzt. Der von den russischen Behörden identifizierte Attentäter kam demnach aus dem südkirgisischen Osch. Er hatte einen russischen Pass, war usbekischer Herkunft.

Und nun der mutmaßliche Attentäter von Stockholm: 39 Jahre alt, aus Usbekistan. Er soll am Freitag gegen 15 Uhr einen gestohlenen Kleinlaster in der Innenstadt in eine Menschenmenge gesteuert haben und anschließend in ein Kaufhaus. Vier Menschen starben, 15 sind teils schwer verletzt. "Nichts deute darauf hin, dass wir die falsche Person gefasst haben" erklärte Reichspolizeichef Dan Eliasson bei einer Pressekonferenz am Samstag. Schwedische Medien berichteten von Verbindungen des Mannes zum IS, das wollten die Behörden aber bislang nicht bestätigen.

Usbekistan rückt damit zunehmend ins Zentrum des Terrors. Der IS rekrutiert viele Krieger aus den zentralasiatischen Republiken Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan, Turkmenistan und Tadschikistan. Bis zu 5000 Männer aus diesen Ländern sollen in Syrien und Irak für den IS kämpfen oder gekämpft haben. Dazu die Attentate im Ausland.

Edward James Lemon, Forscher an der Columbia-Universität in New York, vermutete in der Zeitung Der Standard, dass die große Mehrheit der Rekrutierungen von Zentralasiaten in Russland stattfinde. "Usbekistan und Tadschikistan zählen zu den weltweiten Spitzenreitern, was Arbeitsmigration betrifft", mehr als eine Millionen Bürger beider Staaten lebten in Russland. Lemon führt aus: "Das sind meist junge Männer, die weit weg von zu Hause leben, mit niedrigen Löhnen." Das mache sie für den IS oder für die al-Nusra-Front zu leichten Zielen.

Dazu ist die "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) eine der aktivsten Extremisten-Gruppen in Zentralasien. Sie operiert schon seit den neunziger Jahren und hatte zunächst gegen den Despoten Karimow gekämpft, gegen den Alltag aus staatlicher Willkür und Korruption. Den globalen Dschihad hatte sie zunächst nicht im Sinn.

Nachdem die IBU lange die Taliban im Nachbarland Afghanistan unterstützt hatte und auch in Pakistan aktiv war, legte sie 2015 den Treueeid auf den IS ab. Der Bundesnachrichtendienst schreibt zur IBU: "Sie unterhält in mehreren Ländern Informations- und Unterstützernetzwerke und war in der Vergangenheit Anlaufstelle auch für deutsche Dschihadisten." Sie konnte mehrere Mitglieder der deutschen Salafisten-Szene für sich gewinnen, die anschließend mit Video-Botschaften im Internet in deutscher Sprache für den bewaffneten Krieg warben.

Harte Linie gegen den Islam

Im Prozess um den gescheiterten Sprengstoffanschlag auf den Bonner Hauptbahnhof gegen vier Islamisten, in dem Anfang April das Urteil gesprochen wurde, kam das Gericht zu der Überzeugung: Die vier Männer seien unter anderem durch eine Audiobotschaft des IBU beeinflusst worden mit dem Titel "Tod der Pro NRW". Daraufhin hätten sie den Entschluss gefasst, Mitglieder der rechten Partei zu töten.

Kritiker halten Usbekistan sowie den meisten Nachbarländern vor, die Terrorbedrohung vor allem als Vorwand zu nutzen, um hart gegen die Opposition vorgehen zu können. Gemäßigte islamische Parteien sind verboten, Moscheen werden oft streng kontrolliert, in Tadschikistan mussten vor einem Jahr Hunderte Frauen den Hidschab abnehmen und die Polizei stutzte mehr als 10 000 Männern zwangsweise den Bart. Das nannte sich "Anti-Radikalisierungskampagne".

Mit dem neuen Präsidenten Schwakat Mirsijajew dürfte sich der generelle politische Kurs in Usbekistan kaum verändern. Mirsijajew war schon unter Vorgänger Karimow 13 Jahre lang Regierungschef und wurde im vergangenen Jahr mit fast 89 Prozent der Stimmen gewählt. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kritisierte die mangelnde Transparenz der Abstimmung.

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