Anschlag in Nizza:Kein Trotz mehr, nur Trauer

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In Nizza legen die Menschen Blumen nieder. Nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt gingen noch vier Millionen Menschen auf die Straße. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Auf Charlie Hebdo reagierten die Franzosen noch mit Stolz auf die Republik. Inzwischen sind sie erschöpft von der eigenen Trauer. Nur Reformen können das Elend beenden, das die Täter hervorbringt.

Kommentar von Christian Wernicke

Und nun Nizza. Es ist Frankreichs Stadt der Sonne und des klaren Lichts, durch die der Terror des 14. Juli seine Blutspur zieht. Zwei endlose Kilometer des Horrors. Frankreich ringt um Fassung, um Halt.

Die Welt teilt den Schmerz der geschundenen Nation. Das liegt auch daran, dass der Mörder mit der Wahl von Zeit und Ort an das Beste erinnert, wofür Frankreich steht: an Aufklärung und Freiheit, an die Revolution mit dem Anbruch der Demokratie und der Verkündung der Menschenrechte. Der 14. Juli ist für die Franzosen nicht nur das Datum für die pompöse Militärparade auf der Avenue des Champs-Élysées. An diesem Tag feiern sie in jeder Stadt, in jedem Dorf mit Picknick, Tanz und Feuerwerk ein wenig auch sich selbst. Mitten in dieses Glück ist der Attentäter hineingerast.

In Frankreich konnten nun innerhalb von nur eineinhalb Jahren drei Mal Terroristen ein regelrechtes Massaker anrichten. Hinzu kommen die Verbrechen fanatischer Einzeltäter: die Enthauptung eines Kleinunternehmers, die Tötung einer Frau beim Autoraub, oder die Ermordung des Polizisten-Paars in ihrem Einfamilienhaus. Die Nation ächzt unter der Gewalt, die überall zu lauern scheint.

Auf Charlie Hebdo reagierten die Franzosen noch mit Trotz

Im Januar 2015, nach den Attentaten auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt, war das noch anders. Damals zogen mehr als vier Millionen Franzosen trotzig durch die Straßen, ihr Bekenntnis "Je suis Charlie" entsprang dem Stolz auf die eigene Republik.

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Etwa zwei Kilometer weit fuhr der Lastwagen in Nizza über die Promenade, inzwischen werden die Details klarer. Eine Rekonstruktion.

Diese Aufwallung gab es im November vorigen Jahres schon nicht mehr. Die Nation war da schon kraftlos, erlag der Qual, schien erschöpft zu sein von der Trauer. Die Bekenntnisse zur Einheit der Nation, die Schwüre zur Toleranz auch zwischen den Religionen klangen lau, verhallten irgendwo zwischen Zorn und Resignation. Dennoch, zuletzt keimte etwas Zuversicht: Immerhin war es den Franzosen gelungen, mit fast hunderttausend Polizisten, Gendarmen und Soldaten die Europameisterschaft ohne Anschlag zu überstehen. Spiel und Spaß in Zeiten des Terrors - es erschien möglich.

Nun hat der Feind vier Tage nach dem Endspiel zugeschlagen. Als wollte er beweisen, dass er gerade dann tötet, wenn die Menschen, die Politik, der Staat sich trauen aufzuatmen.

Noch ist nicht klar, was den Mörder von Nizza antrieb. Aber die ersten Striche seines Profils ähneln einem Bild, das den Franzosen bekannt vorkommt: Der möglicherweise religiös verirrte Amokfahrer ist mit seiner Familie aus dem Maghreb eingewandert, er lebte in einer Vorstadtsiedlung. Die Behörden kannten ihn schon lange - erst als jugendlichen Kleinkriminellen, später als Gewalttäter. Nicht alle, wohl aber die Mehrzahl der Euro-Dschihadisten entstammen vergleichbaren Milieus. Der Soziologe Farhad Khosrokhavar definiert sie als "negative Helden": orientierungslose junge Männer, die per Radikalisierung ihren Hass auf die Gesellschaft zur Ideologie überhöhen. Sie töten, um am Ende ihres Lebens einmal zu triumphieren.

Simple Rezepte, dieses Abdriften in Gewalt und Wahn zu stoppen, gibt es nicht. Der Staat mobilisiert, rüstet Polizei und Geheimdienste auf. Diese Härte half, seit Januar 2015 mehr als ein Dutzend Attentate zu verhindern. Aber Nizza beweist, dass dies allein nicht genügt. Nötig sind zugleich Reformen, die das Elend in den Banlieues lindern, die neue Zuversicht in die Schulen dieser Ghettos der Republik tragen.

So muss der Staat endlich lernen, mehr vom eigenen Volk zu lernen: Oft sind es kleine, kreative Projekte der Zivilgesellschaft, die in den Vorstädten stille Erfolge zeigen. Und die muslimischen Gemeinschaften sind (endlich) aufgewacht: Nach dem Doppelmord an den Polizisten bezeugten in einer Kleinstadt 3000 Gläubige, dass die Terroristen auch ihren Glauben malträtieren.

Das sind, in Tagen ohne Trost, kleine Schimmer der Hoffnung. Die große Gefahr ist, dass jetzt in Frankreich die Extremisten gewinnen. Nicht nur die Hassprediger, die Gewalt für einen falschen Gott predigen. Sondern auch Schreihälse vom rechten Rand, die Zehntausende Bürger vorbeugend in Lager stecken oder massenhaft Muslime außer Landes karren wollen. Doch Frankreich hat in seiner Geschichte stets die Kraft bewiesen, sich selbst aufzurichten.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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In Nizza beginnt am 14. Juli normalerweise die Hochsaison. Stattdessen suchen die Menschen in der gelähmten Stadt nach einem Ort, an dem sie ihre Blumen niederlegen können.

Von Felix Hütten, Nizza
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