Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Manchester:Polizei sucht Terror-Netzwerk hinter Manchester-Attentäter

  • Nach dem Anschlag in Manchester geht die Suche nach einem Unterstützer-Netzwerk des Attentäters weiter.
  • Insgesamt sind in Großbritannien derzeit acht verdächtige Personen in Haft, zwei weitere befinden sich in Libyen in Gewahrsam.
  • Die US-Sängerin Ariana Grande kündigte an, ihre Tournee bis zum 5. Juni auszusetzen.

Von Matthias Kolb, Manchester

Am zweiten Tag nach dem Anschlag auf die Manchester Arena ist der Albert Square im Herzen der Stadt wieder voller Menschen. Von allen Seiten strömen sie herbei, um Blumen abzulegen und der Toten zu gedenken. Vor dem Rathaus sind Dutzende Kameras aufgebaut, die Moderatoren berichten in Live-Schalten jedes noch so kleine Detail. Seit Dienstagabend gilt im ganzen Land die höchste Terrorwarnstufe.

Für Innenministerin Amber Rudd beginnt der Mittwoch mit einem Interview-Marathon. Sie bestätigt, dass Salman Abedi den Behörden bereits bekannt war; Details nennt sie aus ermittlungstaktischen Gründen zunächst nicht. Kurze Zeit später wird bekannt, dass die Polizei in Manchester drei Männer festgenommen hat, ein Bruder Abedis war bereits am Vortag in Gewahrsam genommen worden. Was zu diesem Zeitpunkt noch keiner weiß: Ebenfalls am Dienstagabend haben lybische Anti-Terror-Einheiten in Tripolis auch den kleinen Bruder Abedis und dessen Vater festgenommen. Es heißt, der Bruder habe in Libyen einen Anschlag vorbereitet. Beide lebten seit einiger Zeit dort. Auch der Attentäter Salman soll erst kurz vor dem Anschlag nach England zurückgekehrt sein.

Am Nachmittag bestätigt der Polizeichef von Manchester dann offiziell, was viele Experten bereits vermutet hatten, und Ministerin Rudd bereits angedeutet: Der 22-jährige Abedi, der als Sohn libyscher Flüchtlinge in Manchester geboren wurde, war ein "Maultier". Er brachte eine Bombe zur Explosion, die ein anderer gebaut hatte, und die auch ihn tötete. Die Behörden suchen nun das Netzwerk hinter dem Täter. Ständig tröpfeln neue Nachrichten zu den Entwicklungen ein: Eine weitere Wohnung wird gestürmt, am Abend wird ein fünfter Mann in der Nähe von Manchester festgenommen, er soll ein verdächtiges Päkchen mit sich geführt haben.

Etwas später am Abend dann die Nachricht über eine sechste Festnahme. Bei einer Razzia im Stadtviertel Blackley im Norden von Manchester hat die Polizei nach eigenen Angaben eine Frau festgenommen. Diese wurde jedoch am Donnerstagmorgen wieder freigelassen. Kurz vor Mitternacht deutscher Zeit kommt die Meldung einer weiteren Festnahme, am Donnerstagmorgen werden zwei weitere Personen in Gewahrsam genommen.

"Dies ist eine schnell laufende Ermittlung", hatte die Polizei vorher in einer Stellungnahme erklärt. Unter den nun acht Festgenommenen in Großbritannien ist der ältere Bruder des mutmaßlichen Attentäters vom Montagabend, Salman Abedi. In Libyen sind zudem der Vater und der jüngere Bruder in Gewahrsam genommen worden.

Der Schock darüber, dass ein 22-Jähriger einen derart schweren Anschlag begehen konnte, sitzt tief. Der Guardian zitiert hochrangige Quellen aus dem Sicherheitsapparat, die den Anschlag einen "game changer" nennen, der das Land weit zurückwerfe. Seit den Anschlägen auf drei Londoner U-Bahnen und einen Bus im Juli 2005 war es Terroristen nicht mehr gelungen, ein Attentat mit einem Sprengsatz zu verüben. Und es besteht die Sorge, dass der Bombenbauer noch frei herumläuft.

Pikant für die Behörden ist auch, dass Sozialarbeiter aus Manchesters islamischer Gemeinschaft "vor mehreren Jahren" eine Anti-Terror-Hotline angerufen und vor Abedi gewarnt haben wollen. Das erzählen sie der BBC. Sogar Abedis eigene Familie soll staatliche Stellen auf ihn hingewiesen haben. Wie konkret und wann genau, all das bleibt im Dunkeln.

Ob die Behörden womöglich etwas übersehen haben, all das wird in den nächsten Tagen und Wochen genau analysiert werden. Dass ihre Aufgabe nicht leicht ist, ist auch jetzt schon klar. Der britische Inlandsgeheimdienst MI5 führt laut Guardian eine Liste mit mehr als 3000 potentielle Gefährdern - eine Zahl, die es fast unmöglich macht, zu entscheiden, wer besonders intensiv zu überwachen sei.

Unter den 3000 Gefährdern sind einige, die aus Syrien oder dem Irak zurückgekehrt sind - womöglich war Abedi einer von ihnen. Den ganzen Tag über kursieren in der internationalen Presse Spekulationen über mögliche Verbindungen Abedis zum Islamischen Staat und zu al-Qaida. Auch nach Syrien soll er gereist sein.

Mehrmals fordert Innenministerin Rudd die Verbündeten auf, keine Informationen an die Medien weiterzugeben. Trotzdem tauchen in der US-Presse immer wieder brisante Details zu Abedis Vergangenheit auf. Die Quellen werden namentlich nicht genannt, meist heißt es nur, sie seien mit den Ermittlungen vertraut. Die britischen Behörden hingegen halten sich mit Informationen sehr bedeckt, sie wollen die Arbeit der Polizei nicht gefährden.

Seit im Mai 2013 zwei Islamisten in London den Soldaten Lee Rigby ermordeten, haben die britischen Behörden mindestens 13 Anschlagsversuche vereitelt. Dieses Mal gelang es ihnen nicht. Die Suche nach den Ursachen dafür hat längst begonnen und es wird sich zeigen, ob und wie sehr dies den Wahlkampf beeinflussen wird. Am Donnerstag sollen zumindest auf lokaler Ebene wieder erste Veranstaltungen stattfinden, der Labour-Spitzenkandidat Corbyn will ab Freitag wieder auftreten.

Zuvor wird es am Donnerstagvormittag aber erstmal eine Schweigeminute geben. Eine Minute lang werden die Menschen im ganzen Land ihre Arbeit ruhen lassen, auch Polizisten und Politiker. Direkt danach wird die Suche nach den Hintermännern von Abedi mit ungeminderter Intensität weitergehen.

Ariana Grande, die Sängerin, bei deren Konzert der Anschlag passierte, kündigte indessen an, ihre Tournee bis zum 5. Juni auszusetzen. Ihrem Management zufolge fällt somit auch das Konzert am Samstag, dem 3. Juni in der Festhalle in Frankfurt am Main aus. Es war der einzig geplante Auftritt der US-Künstlerin in Deutschland auf ihrer Welttournee.

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