Anschlag in London:Die IS-Ideologie und der Fastenmonat Ramadan

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Geheimdienste beobachten Tausende. Laut Guardian führt der Inlandsgeheimdienst MI5 eine Liste mit mindestens 3000 potenziellen Gefährdern - eine Zahl, die die Entscheidung fast unmöglich macht, wer besonders intensiv zu überwachen sei. Ein Risiko bleibt immer. Laut MI5 haben sich 850 Briten dem IS in Syrien und dem Irak angeschlossen. 350 sind zurückgekehrt, die anderen sind getötet worden oder kämpfen weiter. Allerdings weisen Experten wie Peter Neumann vom Londoner King's College darauf hin, dass Mays Kritik an den Internet-Konzernen "intellektuell faul sei", da sich nur wenige ausschließlich im Internet radikalisieren würden - persönlicher Kontakt sei oft entscheidend.

Britisches Militär-Engagement in Nahost. Das Vereinigte Königreich stand mit dem damaligen Premier Tony Blair fest an der Seite der USA, als 2003 die Invasion des Iraks begann. Die Ex-Kolonialmacht war 2011 für eine Militärintervention gegen Libyen und die britische Air Force bombardiert seit September 2014 als Teil der Anti-IS-Koalition Stellungen der Islamisten im Irak. London hat auch Gruppen, die gegen den IS kämpfen, Waffen und Munition geliefert. Diese Aktivitäten werden von Propagandisten genutzt, um britische Politiker und die britische Gesellschaft als Feinde des Islams darzustellen - und damit als legitime Ziele.

Jeder im Westen kann Opfer sein. Laut Recherchen des Terrorismusforschers Shiraz Maher, der seit Jahren mit jungen Dschihadisten kommuniziert, argumentieren die Islamisten damit, dass Dschihadisten ihre Attentate als "Rachefeldzug" sehen. Der Anschlag von Manchester zeige, dass auch Mädchen und Jugendliche als Opfer nicht tabu sind: Dem Ziel, Schrecken in westlichen Gesellschaften zu verbreiten, wird alles untergeordnet.

Dazu wird das Konzept der qisas von den Salafisten umgedeutet. Qisas ist laut Maher vergleichbar mit dem biblischen "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Früher wurden deswegen bekannte Täter gerächt. Nun gilt jeder Bürger eines Staates, der den IS bekämpft, als Feind, der den Tod verdient habe.

UK-Wahlkampf garantiert Aufmerksamkeit. Ein Attentat kurz vor der vorgezogenen Parlamentswahl, die nach dem Brexit weltweit im Fokus steht - so etwas sorgt für stundenlange TV-Sondersendungen und unzählige Tweets. Auch wenn May und Labour-Spitzenkandidat Jeremy Corbyn betonen, dass natürlich am Donnerstag abgestimmt wird: Durch die Unterbrechung des Wahlkampfs beeinflussen die Islamisten den Alltag und erzwingen politischen Streit und weitere Diskussionen. Und wenn nun emotional über den Umgang mit dem Islam, die geforderte Distanzierung der Muslime von Terror und das richtige Ausmaß an Zuwanderung diskutiert wird, dann fördert das ein Ziel der Dschihadisten: Die Gesellschaft soll gespalten werden und die Muslime sollen das Gefühl bekommen, in Europa unerwünscht zu sein.

Pervertierte Interpretation des Fastenmonats Ramadan. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Zeitpunkt des zweiten Londoner Anschlags auch kein Zufall und bezieht sich nicht nur auf die Neuwahl. Der IS versucht seit Längerem, gerade während des Ramadans zu besonders brutalen Anschlägen aufzurufen, betonten Terrorforscher. Nach dieser pervertierten Sicht erwarte die Märtyrer eine noch größere Belohnung, wenn sie ihre Taten während des Fastenmonats verüben. Demnach, so die Befürchtung der Forscher des King's College, könnte es in den nächsten Tagen und Wochen zu weiteren Attentaten kommen - in Großbritannien und im Rest der Welt.

Anschlag in London London Bridge Terrorismus

Bewaffnete Polizisten in der Nähe des Anschlagsorts von Samstagabend bei der London Bridge.

(Foto: AP)
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