Besonders zum Aufenthalt Amris in Nordrhein-Westfalen sind noch einige Fragen offen. Nordrhein-Westfalen war einer der Hauptaufenthaltsorte des Tunesiers, in dem Bundesland liegt auch die für ihn zuständige Ausländerbehörde. Der 24-Jährige benutzte dort mehrere Identitäten, um Sozialleistungen zu erschleichen. Nun verlangt die Opposition im Düsseldorfer Landtag Aufklärung über die Aktivitäten des mutmaßlichen Weihnachtsmarkt-Attentäters.
Amri habe im November 2015 unter zwei Namen Sozialleistungen in Emmerich und in Oberhausen beantragt. "Es geht um eine Überschneidungszeit von wenigen Tagen", sagte ein Sprecher der Duisburger Staatsanwaltschaft. Im November sei das Verfahren eingestellt worden, weil nicht bekannt gewesen sei, wo sich Amri aufhalte. Der Sprecher konnte nicht sagen, ob die Staatsanwaltschaft im April schon gewusst habe, dass Amri als sogenannter Gefährder beobachtet wurde, dem ein Anschlag zugetraut wurde.
Nach WDR-Recherchen soll Amri auch im Ruhrgebiet deutlich besser vernetzt gewesen sein als bislang angenommen. Unter anderem habe er mehrere Moscheen besucht und auch in einer von ihnen übernachtet. CDU-Landeschef Armin Laschet äußerte Kritik: "Wenn die Enthüllungen stimmen, dass ein ausreisepflichtiger terroristischer Gefährder, der den Behörden bekannt ist, sich völlig frei bewegen und in radikalen Moscheen im Ruhrgebiet ungestört Hass predigen kann, dann ist dies der absolute Tiefpunkt von sechs Jahren rot-grüner Innenpolitik in NRW, der jetzt schonungslos aufgeklärt werden muss."
Linke spricht von "Behördenversagen"
Die Linke wirft den Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Attentäters von Berlin so schwere Fehler vor wie im Fall der rechten Terrorgruppe NSU. Das "Versagen" im Fall Anis Amri gleiche demjenigen beim Umgang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund, sagt Linke-Fraktionsvize Frank Tempel der Berliner Zeitung vom Freitag. "Ich sehe auf jeden Fall ein Behördenversagen." Es habe genug Hinweise gegeben, die Toten des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt hätten verhindert werden können.
Einen Untersuchungssausschuss, wie er sich derzeit mit dem NSU befasst, sei vor der Bundestagswahl im kommenden Herbst nicht mehr zu schaffen. "Aber wenn der Fall nicht aufgeklärt wird, dann müssen wir nach der Bundestagswahl einen Untersuchungsauftrag beantragen", sagte Tempel.