Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Afghanistan:Bundesregierung trägt Mitschuld an der Situation in Afghanistan

Der Bombenanschlag symbolisiert das Scheitern der Afghanistan-Mission. Es wäre deshalb besonders zynisch, afghanische Flüchtlinge heimzuschicken.

Kommentar von Tobias Matern

Über den Afghanistan-Einsatz hat ein westlicher Diplomat in Kabul vor Jahren einmal halb im Scherz gesagt: Wenn wir es schaffen, dass nach unserem Abzug zwei Jahre lang Ruhe herrscht, reicht das aus, um diesen Einsatz als Erfolg verkaufen zu können.

Danach können wir Instabilität und Unsicherheit der afghanischen Regierung in die Schuhe schieben. Diese Sätze klingen zynisch, aber sie spiegeln vor allem den Frust eines Kenners wider, der schon damals wusste, dass der hohe Einsatz in keinem Verhältnis zum Ertrag steht. Sein Pessimismus wurde sogar übertroffen: Die Afghanistan-Mission ist gescheitert.

Nicht Kabul allein hat an katastrophaler Lage Schuld

Der Westen hat es noch nicht einmal geschafft, nach dem Abzug der Kampftruppen ein Afghanistan zu hinterlassen, das wenigstens zwei Jahre lang relative Ruhe erlebt. Die erstarkten Taliban nehmen mehr und mehr afghanische Sicherheitskräfte zum Ziel, es kann immer und überall eine Bombe detonieren.

Jüngstes Beispiel: der Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif, bei dem mindestens acht Menschen getötet und mehr als 100 verletzt wurden. Dabei galt die Großstadt bislang noch als eine der sichersten in einem unsicheren Land. Es ist die Stadt, in der die Bundeswehr seit Jahren ihren größten Stützpunkt betreibt.

Die internationale Gemeinschaft kann die katastrophale Lage nicht allein Kabul anlasten. Zwar ist Afghanistans Regierung unfähig, die Islamisten zu Verhandlungen zu bewegen, aber das ist vor allem das Ergebnis verfehlter westlicher Politik: Barack Obama wollte den längsten Krieg der US-Geschichte vernünftig abwickeln, doch es war ein strategischer Fehler, den Kampfeinsatz zu beenden, ohne einen Frieden mit den Taliban erreicht zu haben. Am Samstagmorgen erschütterte eine Explosion das US-Hauptquartier in Bagram; bei dem Anschlag kamen vier Menschen ums Leben.

Deutschlands Strategie war widersprüchlich

Auch die Bundesregierung trägt eine Mitschuld an der Situation: Vor allem im Norden Afghanistans ist die Lage prekär, haben die Taliban in der Provinz Kundus ihre Macht ausgeweitet; selbst Masar-i-Scharif ist nicht mehr sicher, wie der Anschlag zeigt. In den ersten Jahren des Einsatzes war dieses Gebiet, für das die Bundeswehr verantwortlich war, relativ ruhig. Als die Taliban sich dort ausbreiteten und die direkte Konfrontation mit den deutschen Soldaten suchten, war es der politische Wille Berlins, den Krieg nicht anzunehmen. Die Bundeswehr zog sich in ihre Lager zurück; "in der Fläche" hatte man "zu wenig Stiefel auf dem Boden", wie deutsche Militärvertreter einräumten.

Deutschland verfolgte in Afghanistan eine widersprüchliche Strategie: Berlin bot sich nach den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001 als solidarischer Bündnispartner der Amerikaner an, wollte aber nur einen bewaffneten Entwicklungshilfeeinsatz führen, keinen Krieg. Als in Kundus längst Chaos herrschte und die Patrouillen der Bundeswehr beschossen wurden, weigerte sich Berlin noch immer, von Krieg zu reden, das Kontingent aufzustocken und besser auszurüsten. Im Herbst 2013 zog die Bundeswehr aus Kundus ab und ließ viele ängstliche Afghanen zurück. Es dauerte gerade einmal ein Jahr, bis die Islamisten zumindest für zwei Wochen in der Provinzhauptstadt ihre Fahne hissten.

Dass Vertreter der Bundesregierung nun erklären, die Afghanen sollten doch einfach in ihrem Land bleiben und nicht nach Europa fliehen, ist genauso zynisch wie die Einschätzung, es gebe sichere Gebiete, in die man Afghanen abschieben kann. Wenn Masar-i-Scharif schon nicht zu diesen Gebieten zählt, welche Gegenden sollen das in Afghanistan sonst sein? Um es mit Willy Brandt zu formulieren: Ohne Frieden ist alles nichts. Und es gibt keinen Frieden in Afghanistan.

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SZ vom 12.11.2016/lkr
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