Anschlag auf US-Konsulat:Dreh von ganz oben

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Vor dem Senat im Januar 2013: Hillary Clinton sagt zum Anschlag in Bengasi aus (Foto: AFP)

Der Fall Bengasi lässt Hillary Clinton nicht los: Die Republikaner behaupten, die Regierung habe die Öffentlichkeit falsch informiert. Dass den Informationen zumindest ein bestimmter Dreh mitgegeben wurde, lässt sich jetzt belegen.

Von Nicolas Richter, Washington

Der politische Betrieb in Amerika ist viel zu aufgeregt, um sonntags zu ruhen. Statt innezuhalten, strahlt jeder große Fernsehsender eine Talkshow aus, mit möglichst hochrangigen Gästen. Sie arbeiten die vergangene Woche auf und reden schon über die nächste.

Das Gesprächsthema für den 16. September 2012 war absehbar. Am Dienstag zuvor, dem 11. September, hatten Terroristen das US-Konsulat im libyschen Bengasi angegriffen. Vier Amerikaner starben, unter ihnen der amerikanische Botschafter in Libyen, J. Christopher Stevens.

Am Sonntag musste jemand aus der Regierung im Fernsehen erklären, wie das passieren konnte. Es lag nahe, Hillary Clinton zu schicken. Die Außenministerin war Stevens Vorgesetzte gewesen. Aber Clinton ließ sich entschuldigen. Sie war angeblich erschöpft. Vielleicht wusste sie auch, wann man in der Politik lieber mal schweigt.

Also erschien Susan Rice, Botschafterin bei den UN und Regierungsmitglied, in fünf Sendungen. Die Ereignisse in Bengasi hätten "spontan begonnen", sagte sie, als Protest gegen ein islamfeindliches US-Video, wie zuvor schon in Kairo. Dann hätten sich "extremistische Elemente" unter die Demonstranten gemischt, schwer bewaffnet. Daraus sei plötzlich etwas "viel Gewalttätigeres" entstanden. Eine spontane, überraschende Eskalation also.

Ein Skandal wie Watergate?

Die Republikaner haben ihr nie geglaubt. Sie versuchen, den Fall Bengasi zu einem neuen Watergate zu stilisieren: Demnach hätten Präsident Barack Obama und seine Leute das Konsulat zur Todesfalle werden lassen und ihr Versagen dann verheimlicht. Lange hatten die Konservativen dafür keine Beweise, und ihre Bengasi-Besessenheit wirkte befremdlich. Doch inzwischen geraten die damaligen internen E-Mails der Regierung an die Öffentlichkeit, und tatsächlich offenbaren sie staatliche Beschönigung, gar Vertuschung.

Nach dem Anschlag rangen nicht nur der Geheimdienst CIA und das Außenministerium um die Wortwahl; auch das Weiße Haus mischte mit. Alle Beteiligten wussten, was auf dem Spiel stand: Die USA waren an einem 11. September Opfer muslimischer Extremisten geworden. Dies war gefährlich nicht nur für Obama, der als Bezwinger al-Qaidas glänzen wollte und sich wenig später der Wahl stellen musste. Sondern auch für Hillary Clinton, die als demokratische Favoritin gilt, um Obama im Jahr 2016 nachzufolgen. Vor allem für Clinton könnte Bengasi noch zur Last werden.

Drei Tage nach dem Anschlag, am Freitag, den 14. September, verschickte die CIA einen ersten Entwurf für "talking points". Das Parlament hatte um eine Sprachregelung gebeten, die Abgeordneten wollten wissen, was sie öffentlich sagen durften.

"Ernste Bedenken" des Außenministeriums

Der Entwurf der CIA war ziemlich direkt. "Wir wissen, dass islamische Extremisten mit Verbindungen zu al-Qaida an dem Angriff beteiligt waren", hieß es. Die radikale Gruppe Ansar al-Scharia habe "nicht bestritten", dass ihre Leute mitgewirkt hätten. Und: "Seit April haben Unbekannte in mindestens fünf weiteren Fällen ausländische Interessen in Bengasi angegriffen, unter anderem im Juni den Konvoi des britischen Botschafters. Wir können nicht ausschließen, dass jemand die US-Einrichtungen beobachtet und damit zum Erfolg des Anschlags beigetragen hat."

Im Laufe des Tages fügte die CIA noch hinzu, dass sie vor gewaltbereiten Islamisten in Ägypten und Libyen gewarnt habe, tilgte aber das Reizwort "al-Qaida".

Am Freitagabend erreichte der CIA-Entwurf das Außenministerium, das sofort "ernste Bedenken" meldete. Der Text werde das Außenamt dem Vorwurf aussetzen, die "Warnung der CIA ignoriert zu haben". Warum war Botschafter Stevens denn überhaupt in dem Konsulat, wenn Bengasi doch so gefährlich war? Die CIA tilgte daraufhin die Gruppe Ansar al-Scharia aus ihrem Text. Aber Victoria Nuland, die Sprecherin des Ministeriums, schrieb zurück, nicht alle Bedenken der "Führung im Hause" seien ausgeräumt. Nun reagierte auch das Weiße Haus. Es verlangte, dass die Einwände des Außenamts zu berücksichtigen seien. Die Einzelheiten würden am nächsten Tag in der Regierungszentrale geklärt.

Am Samstag dann verwässerte die CIA ihren Text völlig. Nicht nur waren in der Fassung vom Samstagmittag die Namen "al-Qaida" und "al-Scharia" verschwunden, sondern auch frühe Warnungen der CIA, ältere Anschläge in Bengasi oder die mögliche "Beobachtung" des US-Konsulats durch Terroristen. Offiziell hatte in Bengasi auch kein "Angriff" stattgefunden, sondern eine "gewalttätige Demo".

Das konservative Blatt Weekly Standard und der Sender ABC haben jetzt einige der internen E-Mails veröffentlicht. Offensichtlich stammen sie von Republikanern im Parlament, die den Fall untersuchen und dafür Material aus dem Weißen Haus erhalten haben. Der Kontext der E-Mails oder deren Absender ist nicht immer eindeutig, und angesichts der Parteilichkeit in Washington muss man die neuen Enthüllungen mit Vorsicht sehen.

Doch selbst bei nüchterner Betrachtung drängt sich inzwischen die Frage auf, ob das Weiße Haus und das Außenministerium noch im Rahmen des Erlaubten handelten. Es ist in der Politik üblich, Ereignissen einen bestimmten Dreh, einen "spin" zu geben. Allerdings nur so lange, wie die Öffentlichkeit nicht getäuscht wird. Im Fall Bengasi wurde mindestens eine große Portion der Wahrheit verschwiegen.

Obamas Sprecher Jay Carney hat erklärt, das Weiße Haus habe nur ein Detail der Sprachregelung geändert: Es habe aus dem "Konsulat" in Bengasi einen "diplomatischen Außenposten" gemacht. Aber Carney hat auch schon beteuert, der Bengasi-Text sei im September allein unter Geheimdienst-Experten entstanden (also: ohne politischen Einfluss). Das aber scheint nicht zu stimmen: Denn am Samstag, den 15. September, wurde der Text ja sogar bei einem Treffen im Weißen Haus entschärft.

"Es ist unverzeihlich"

Aus dem Umfeld von Victoria Nuland, der damaligen Sprecherin Clintons, heißt es, sie habe niemanden täuschen wollen. Sie habe nicht den Wahlkampf beeinflussen, sondern ihr Ministerium verteidigen wollen. Die CIA habe mit ihrem Text nur versucht, sich selbst reinzuwaschen.

Wenn jemand weiß, wie man große und kleine Skandale aussitzt, dann ist es Hillary Clinton. Als sie im Januar, während ihrer letzten Tage als Außenministerin, im US-Senat zum Fall Bengasi vernommen wurde, zeigte sie sich mal betroffen, mal gerührt, manchmal auch zornig. "Vier Amerikaner sind gestorben. Ob wegen eines Protests, oder wegen ein paar Kerlen, die spazieren gingen und sich vornahmen, Amerikaner zu töten - welche Rolle spielt das jetzt noch", fragte Clinton und riss die Arme in die Höhe. In der Tat: Es dürfte der Öffentlichkeit egal sein. Nicht egal wäre es allerdings, wenn Clinton die Öffentlichkeit belogen oder zur Lüge angestiftet hätte.

In der vergangenen Woche hat der Diplomat Gregory Hicks im Parlament ausgesagt, er habe sich nach dem 11. September 2012 im Ministerium erkundigt, warum die Einrichtung in Bengasi nicht besser geschützt worden sei. Er sei deswegen an höchster Stelle kritisiert und sogar ausgegrenzt worden.

Der Fall wird Clinton nicht loslassen. Als sie sich im Januar dem Parlament stellen musste, sagte der rechte Senator Rand Paul: "Wäre ich damals Präsident gewesen, hätte ich sie entlassen. Es ist unverzeihlich." Paul möchte - wie Clinton - im Jahr 2016 selbst gerne Präsident werden.

© SZ vom 13.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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