Anschlag auf Satiremagazin "Charlie Hebdo":Gefahr von innen

French soldiers patrol near the Eiffel Tower in Paris as part of the highest level of 'Vigipirate' security plan after a shooting at the Paris offices of Charlie Hebdo

Französische Soldaten patroullieren vor dem Eiffelturm.

(Foto: Reuters)
  • Nach Schätzungen von Experten kämpfen weit mehr als 3000 Europäer im Dschihad für die Terrorgruppe "Islamischer Staat". Die meisten von ihnen kommen aus Frankreich.
  • Die Anschläge in Frankreich vor Weihnachten wurden von Einzeltätern, sogenannten lone wolves, verübt.
  • Doch Geheimdienst-Informationen zufolge soll der IS auch größere Anschläge geplant haben.

Von Hans Leyendecker

Die Weltkarte des Dschihad weist viele Orte auf, an denen Fanatiker Krieger für den angeblich Heiligen Krieg rekrutieren. Fachleute der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Kämpfer der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) aus mehr als 80 Ländern stammen. Natürlich kommen viele aus der islamischen Welt, aus Jordanien, Saudi-Arabien, Marokko, Tunesien, der Türkei und auch aus dem Kaukasus.

Aber nach Schätzungen der Nachrichtendienste und des EU-Koordinators für Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove, gehören weit mehr als 3000 Europäer dazu. Aus Frankreich sollen etwa 1150 Dschihadisten kommen, das ist der europäische Spitzenwert. Aus Deutschland sollen 550 Kämpfer nach Syrien und in den Irak gezogen sein. Die Dunkelziffer ist auch deshalb sehr groß, weil die an die Front ausreisenden Kämpfer in aller Regel ihre Pläne verheimlichen. 500 Kämpfer sollen aus dem Vereinigten Königreich stammen.

Europas Dschihadisten haben kein klares Profil

All diese Zahlen sind relativ. Es fällt auf, dass die drei bevölkerungsreichsten Länder die meisten europäischen Kämpfer stellen, aber pro Kopf betrachtet, sieht die Bilanz ganz anders aus: Dann ist Belgien vorn. 310 Kämpfer sollen aus dem Land kommen, das nur elf Millionen Einwohner hat. Fest steht jedenfalls, dass nach Syrien und in den Irak zuletzt weit mehr Europäer ausgereist sind als an den Hindukusch.

Europas Dschihadisten haben kein klares Profil. Manche sind Konvertiten, die meisten haben wohl einen Migrationshintergrund. Untersuchungen von Radikalismus-Forschern zeigen , dass unter den ersten europäischen Syrien-Reisenden etliche waren, die zunächst nur humanitäre Hilfe leisten wollten und sich dann entschieden, zur Waffe zu greifen. Seit einiger Zeit versuchen viele der Reisenden, gleich an eine der Fronten zu gelangen.

Sogar Kinder und Jugendliche sind darunter. Belgien wurde von den Bildern eines 13-Jährigen erschüttert, der Anfang vergangenen Jahres mit seinem 14 Jahre älteren Bruder nach Syrien gereist war. Was alle Sicherheitsbehörden in Europa umtreibt, ist aber die Frage, was passieren wird, wenn die Krieger zurückkehren. Die Behörden in Europa reagierten sehr besorgt, als ein Dschihad-Rückkehrer im Sommer vergangenen Jahres im Jüdischen Museum in Brüssel auf Besucher schoss und vier Menschen tötete. Erst in den Tagen vor Weihnachten hatten Anschläge die Franzosen in Angst versetzt. In einem Vorort von Tours hatte sich ein 20-Jähriger unter Allahu-akbar-Rufen (Gott ist groß) mit einem Messer auf Polizisten gestürzt, ehe er erschossen wurde. Nur einen Tag später fuhr ein 40 Jahre alter Muslim unter den gleichen Rufen mit seinem Auto gezielt auf Fußgänger los. In Nantes gab es einen Toten. Ob die Anschläge das Werk religiöser Fanatiker waren oder nur durchgeknallter Einzeltäter, ist nicht ganz geklärt. Aber es gab bereits vorher tödliche Attacken islamistischer Attentäter in Frankreich. Immer aber waren es Einzeltäter. Meist kamen sie aus kaputten Familien, waren Kleinkriminelle oder drogenabhängig.

Doch im vergangenen Jahr hatten die Ermittler einen neuen, beunruhigenden Trend festgestellt. In Frankreich ist eine Generation islamistischer Aktivisten herangewachsen, die nicht mehr aus den Banlieues kamen: Es sind junge Franzosen aus eher gut situierten, scheinbar intakten Mittelschichtfamilien, die sich im Internet von den Hassbotschaften der Islamisten haben anstecken lassen - und in den Dschihad ziehen. Und wenn sie überleben, vielleicht zurückkehren.

Der Verfassungsschutz kontrolliert viele Heimkehrer - alle kann er nicht überwachen

Circa 180 Rückkehrer soll es in Deutschland geben. Früher, als die Front in Afghanistan oder Pakistan verlief, waren viele der Heimkehrer ernüchtert. Sie waren oft froh, überlebt zu haben. Dies soll, so erklären Vertreter von Sicherheitsbehörden, im Fall der IS-Heimkehrer anders sein. Viele von ihnen hätten sich nicht vom IS abgewendet, sondern würden selbst neue Kämpfer anwerben, bei der Ausreise helfen und Spenden für den IS sammeln.

Der Verfassungsschutz kontrolliert die Kommunikation vieler Rückkehrer, die Polizei hilft bei der Observation. Aber längst nicht jeder kann observiert werden. Für einen Verdächtigen werden bis zu vier Teams benötigt, pro Schicht braucht es acht Mann. Einige der Heimkehrer kooperieren auch mit den Sicherheitsbehörden, aber es sind nicht sehr viele. In einem Video aus Syrien sagte ein belgischer Schüler, er wolle nach Haus, um Ungläubige zu töten. Im Internet kursiert das Kampflied eines ehemaligen deutschen Gangsta-Rappers: "Ich zünd' die Bombe inmitten der Menge, drück' auf den Knopf."

Der Albtraum westlicher Sicherheitsfachleute

Solche Wirrköpfe hat es auch früher gegeben, und es war schon vor dem Massaker in Paris ein Albtraum westlicher Sicherheitsfachleute, dass sich in Europa ein solcher Anschlag ereignen könnte. In vertraulichen Berichten von Behörden wurde darüber spekuliert, dass die IS-Führung solche Attacken in Europa unbedingt wolle, um die dschihadistische Bewegung weltweit anzuführen. Es mag aber auch sein, dass die Mörder aus Paris ihre Tat ohne Anleitung selbst geplant haben.

Und Deutschland? Hat bislang sehr viel Glück gehabt. In den vergangenen 15 Jahren haben Dschihadisten sechs- oder sieben Mal versucht zuzuschlagen. Meist kam ihnen die Polizei zuvor. Nur ein Anschlag auf zwei GIs im Jahr 2011 konnte nicht verhindert werden.

"Es ist nicht die Frage, ob ein Anschlag passiert, sondern nur noch, wann er geschehen wird", sagt ein hochrangiger deutscher Sicherheitsbeamter, so ähnlich hat das auch eine britische Geheimdienstchefin mal gesagt. Die Warnung gilt für ganz Europa. "Wenn was bei uns passieren sollte", sagt der Terrorbekämpfer, "wird es vermutlich ein Einzeltäter sein, der durchgeknallt ist - und wir werden ihn kennen."

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