Das Ziel des Anschlags von Istanbul in der Silvesternacht ist nach Ansicht des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan eine Spaltung der türkischen Gesellschaft. Der Angriff "sollte einen Riss in der Gesellschaft verursachen und sie polarisieren", sagte Erdoğan am Mittwoch in seiner ersten Rede seit dem Angriff auf den Nachtclub Reina.
Am Sonntagmorgen hat ein Angreifer in dem Lokal 39 Menschen getötet. Später hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Anschlag für sich beansprucht. In dem Bekennerschreiben führte sie aus, es sei darum gegangen, die "Feier in Trauer umzuwandeln". Vor allem säkulare Türken hatten den Anschlag auf die Silvesterparty als Angriff auf die liberale Lebensweise vieler Bürger gewertet.
Es gab eine Debatte darüber, ob Silvester ein islamisches Fest ist
Tage vor dem Anschlag hatte es zudem in der Türkei eine Debatte darüber gegeben, ob Silvester zu feiern sei. Die Religionsbehörde hatte das Fest in der Freitagspredigt als "unislamisch" bezeichnet, den Anschlag auf das Nachtlokal aber später aufs Schärfste verurteilt. Radikale nationalistische Gruppen hatten aggressiv Stimmung gegen Weihnachts- und Silvesterfeiern gemacht.
Es ist nicht das erste Mal, dass das Land über Lebensstile debattiert. Vor wenigen Monaten war eine Frau in kurzen Shorts in einem Bus von einem Mann angegriffen worden, der sich durch ihre Kleidung provoziert fühlte. Erdoğan versicherte in seiner Rede, die Lebensweise von niemandem in der Türkei sei systematisch bedroht: "Das würden wir nie zulassen."
Manche würden behaupten, dass man sich in der Türkei nicht so anziehen dürfe wie man wolle, aber das sei eine "Lüge". Erdoğan sagte weiter, er habe in der Vergangenheit "Anblicke oder Äußerungen kritisiert", aber sich "niemals" in private Entscheidungen eingemischt.
Der Täter könnte aus Kirgisien stammen
Die türkischen Behörden sind weiter auf der Suche nach dem flüchtigen Angreifer. Er hatte sich offenbar im Lokal umgezogen und war dann in der Menge der Flüchtenden untergetaucht. Seine Identität sei geklärt, sagte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, machte jedoch keine konkreten Angaben. Türkische Medien melden unter Berufung auf Sicherheitskreise, er könnte aus Zentralasien stammen, sei möglicherweise Kirgise. Er verfüge über Kampferfahrung und sei möglicherweise in Syrien ausgebildet worden. Eine offizielle Bestätigung gibt es dafür nicht.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Behörden Täter aus Zentralasien und dem Nordkaukasus beschuldigen. Dort hat der IS über längere Zeit Kämpfer rekrutiert. Eine IS-Zelle aus Zentralasien soll für den Anschlag auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen im Juni 2016 verantwortlich sein, bei dem 47 Menschen getötet wurden.
Bisher hat sich der IS selten zu Anschlägen in der Türkei bekannt
Das Vorgehen des Silvester-Attentäters unterscheidet sich von früheren IS-Angriffen. Zumeist hatte die Terrormiliz Selbstmord-Attentäter eingesetzt. Der Verdächtige soll - anders als in früheren Fällen - mit seiner Familie, Frau und Kindern, in die Türkei eingereist sein. Die Ehefrau habe Medienberichten zufolge angegeben, nichts über die IS-Anhängerschaft ihres Mannes gewusst zu haben.
Im Zusammenhang mit dem Anschlag sind im westtürkischen Izmir am Mittwoch mindestens 27 Menschen festgenommen, darunter auch Frauen und Kinder. Zu weiteren Festnahmen kam es in Istanbul. Ungewöhnlich ist für die Ermittler, dass sich der IS zu dem Anschlag bekannt hat. Bei früheren Attacken tat er dies in der Regel nicht. Experten zufolge könnte der IS signalisieren wollen, dass der Anschlag von oberster Stelle angeordnet wurde.
Das Parlament in Ankara hat am Dienstag dafür gestimmt, den nach dem gescheiterten Putsch im Juli verhängten Ausnahmezustand um weitere drei Monate zu verlängern. Begründet wurde der Schritt mit anhaltenden Terroranschlägen.