Zweimal hat Adel K., einer der beiden Männer, die am Dienstag eine Kirche in Nordfrankreich stürmten und einen Pfarrer ermordeten, versucht nach Syrien auszureisen. Zweimal scheiterte er. Der erste Versuch endete im März 2015 in Deutschland, K. war erst 17 Jahre alt. Nur zwei Monate später brach er wieder auf, erst in der Türkei wurde er aufgehalten und zurück nach Frankreich gebracht. Die Ermittler glaubten, dass er sich in Syrien dem sogenannten Islamischen Staat anschließen wollte, er kam in Untersuchungshaft. Nach zehn Monaten, am 18. März dieses Jahres, wurde er entlassen.
In einer vom Gericht angeordneten Untersuchung, aus der Le Monde zitiert, gab sich K. geläutert. Er sei kein Extremist und bereue seine Ausreiseversuche. Er wolle sein Leben wieder aufnehmen, seine Freunde wiedersehen, heiraten. Der zuständige Richter glaubte ihm - anders als die Staatsanwaltschaft, die ein großes Risiko in K.s Freilassung sah. Selbst dessen Eltern gaben an, ihren Sohn lieber eingesperrt, aber lebendig zu wissen, als frei und auf dem Weg nach Syrien. Doch der Richter hielt die Gefahr, die von K. ausgeht, für beherrschbar. Er gab dem Antrag auf Entlassung aus der Untersuchungshaft statt.
Normandie:Angreifer auf französische Kirche trug Fußfessel
In Saint-Étienne-du-Rouvray töten Bewaffnete einen 85-jährigen Priester. Einer der Angreifer stand unter Terrorverdacht und wurde eigentlich unter Hausarrest gestellt, wie der Staatsanwalt nun bestätigt.
K. kehrte in das Haus seiner Eltern zurück, allerdings unter strengen Auflagen. Einmal wöchentlich musste er sich bei der Polizei melden, das Departement durfte er nicht verlassen, er musste sich einer psychologischen Behandlung unterziehen. Und er musste eine elektronische Fußfessel tragen. In Frankreich ermöglicht diese Maßnahme, Freiheitsstrafen zu verbüßen, ohne eingesperrt zu sein oder, wie in K.s Fall, eine Untersuchungshaft in Hausarrest umzuwandeln. Die Fußfessel schlägt Alarm, wenn ihr Träger das Haus verlässt - mit Ausnahme eines kurzen Zeitfensters, das der Richter festlegt. K. konnte an Wochentagen von halb neun am Morgen bis halb eins am Mittag das Haus seiner Eltern verlassen.
Wieder ein Anschlag in Frankreich, wieder eine Sicherheitsdebatte
Genau in dieses Zeitfenster fiel der Überfall auf die Kirche in Saint-Etienne-du-Rouvray nahe Rouen. Um 9:25 Uhr, während der Morgenmesse, drangen der mittlerweile 19 Jahre alte K. und ein noch nicht identifizierter Komplize mit Messern bewaffnet in die Kirche ein. Die beiden Männer, die der IS später als seine "Soldaten" bezeichnete, nahmen sechs Geiseln und ermordeten den 85-jährigen Pfarrer Jacques Hamel. Als Polizisten einer französischen Spezialeinheit die Angreifer erschossen, war es etwa elf Uhr.
Knapp zwei Wochen nach dem Anschlag in Nizza mit 84 Toten hat der Terror Frankreich erneut getroffen. Und wieder zieht der Anschlag binnen kürzester Zeit eine heftige Sicherheitsdebatte nach sich. Ging und geht es nach Nizza darum, wie viel (oder wenig) Unterstützung die kommunale Polizei aus Paris erhielt, stellt sich das Land nach dem Angriff auf die Kirche in Saint-Etienne-du-Rouvray nun erneut die seit eineinhalb Jahren diskutierte Frage: Wie weit darf der Staat im Kampf gegen den Terror gehen?
Zeitung:"Le Monde" zeigt keine Bilder von Terroristen mehr
Die französische Zeitung will damit "dem Hass widerstehen". Attentäter dürften nicht glorifiziert werden.
Nur so weit, wie der Rechtsstaat erlaubt, erklärte Präsident François Hollande nach dem Anschlag von Saint-Etienne-du-Rouvray kategorisch. Sein Vorgänger Nicolas Sarkozy, der seit Monaten ein härteres Vorgehen gegen Terrorverdächtige fordert, geht zumindest rhetorisch bereits darüber hinaus: "Unser Feind kennt keine Tabus, keine Grenzen, keine Moral. Wir müssen unerbittlich sein." Die Zeit, sich durch "juristische Spitzfindigkeiten" einzuschränken, sei vorbei. Die Fußfessel wird aus dieser Sicht zum Symbol eines Staates, der dem Terrorismus nicht mit der nötigen Entschlossenheit begegnet.
Auch in Deutschland ist nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach und dem Amoklauf in München eine Debatte über die öffentliche Sicherheit entbrannt. Und auch hier wird nun darüber diskutiert, ob die Fußfessel ein geeignetes Mittel ist, um Terroranschläge zu verhindern. Aus Bayern und aus Hessen kommt erneut der Ruf, sie für sogenannte extremistische Gefährder einzuführen.
Die Justiz müsse solche Menschen besser im Blick behalten können, sagte Bayerns Justizminister Winfried Bausback. Die Überwachung extremistischer Straftäter mittels Fußfessel könne ein weiterer Baustein für mehr Sicherheit in Deutschland sein, teilte Hessen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann der SZ mit.
Neuer Terror:Frankreich ringt um seine Einheit
Islamisten ermorden in der Normandie einen 85 Jahre alten katholischen Priester. Der Anschlag soll die Religionsgemeinschaften in Frankreich spalten.
Die beiden unionsgeführten Länder hatten sich bereits nach den Anschlägen in Frankreich und Belgien dafür ausgesprochen, die in Deutschland geltenden Regelungen auszuweiten. Demnach sollten islamistische Straftäter, die mindestens ein Jahr in Haft waren und danach noch als gefährlich gelten, mittels Fußfessel überwacht werden können, wie die FAZ berichtete.
Bislang ist es in Deutschland so, dass nur Straftäter, die wegen einer schweren Gewaltstraftat oder eines Sexualdelikt zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt wurden und nach Verbüßung der Gefängnisstrafe noch als gefährlich gelten, unter die sogenannte Elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) gestellt werden können. Sie ist also in gewisser Weise eine Alternative zur Sicherungsverwahrung. Die EAÜ kann für bis zu fünf Jahren angeordnet werden, muss aber nach spätestens zwei Jahren überprüft werden.
Nach Auskunft des Hessischen Justizministeriums, wo die Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder angesiedelt ist, trugen zum Stichtag 30. Juni 2016 deutschlandweit 75 Menschen ein solches Ortungsgerät. Bei dieser sogenannten großen Fußfessel kann mittels GPS-System jederzeit festgestellt werden, wo sich ein Träger aufhält. Der Überwachung sind allerdings Grenzen gesetzt: Die Ortung darf nur erfolgen, wenn ein Alarm ausgelöst wird.
"Der Fußfesselträger ist an bestimmte Weisungen gebunden", erläutert Jörg Kinzig von der Uni Tübingen der SZ, dessen Institut für Kriminologie im Frühjahr 2016 eine Studie zur Überwachung mittels Fußfessel veröffentlichte. Es werde beispielsweise eine bestimmte "Gebotszone" festgelegt, in deren Radius sich der Fußfesselträger bewegen dürfe. Wenn er diese überschreite, werde Alarm ausgelöst. Eine Warnung erfolgt auch, wenn die Batterie nicht rechtzeitig aufgeladen wird - oder wenn die Fußfessel gewaltsam entfernt wird.
"Die Fußfessel ist kein Allheilmittel zur Vermeidung von Straftaten"
Im Alarmfall gibt es nach Auskunft des hessischen Justizministeriums unterschiedliche Szenarios. Erscheint die Situation nicht so bedrohlich, weil beispielsweise nur der Akku der Fußfessel leer wird, wird zunächst der Träger kontaktiert. Begibt sich der Träger hingegen in ein explizit als Verbotszone ausgewiesenes Gebiet - beispielsweise ein Pädophiler auf einen Spielplatz - oder macht sich an seiner Fußfessel zu schaffen, wird sofort die örtliche Polizei benachrichtigt.
Bezogen auf verdächtige Islamisten könnte das nach den Vorstellungen der hessischen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann etwa heißen, dass "szenebekannte Hassprediger bestimmte Moscheen nicht mehr betreten dürfen oder dass sich einschlägig verurteilte extremistische Straftäter bestimmten kritischen Infrastrukturen wie Kraftwerken, Bahnhöfen oder Flughäfen nicht nähern dürfen".
Doch reicht das, um einen offenbar zu allem entschlossenen Islamisten wie den französischen Attentäter an seiner brutalen Tat zu hindern? Experten halten die präventive Wirkung einer Fußfessel zumindest für begrenzt.
Durch die Fußfessel würden "rational agierende Menschen" darauf hingewiesen: 'Wenn ich jetzt eine Straftat begehe, dann wird man die sehr schnell aufklären können', sagt Kinzig. Denn durch das Ortungsinstrument ist bei einem konkreten Verdacht auch im Nachhinein ermittelbar, wo sich ein Träger zum Zeitpunkt einer Straftat aufhielt.
"Doch die Fußfessel ist kein Allheilmittel zur Vermeidung von Straftaten", stellt der Kriminologe fest. "Sie wird nicht verhindern können, wenn jemand eine Straftat begehen will." Zumal Straftäter ja auch nicht immer rational agierten. Sein Institut sprach sich denn auch dagegen aus, die Überwachung mittels Fußfessel auf weitere Gruppen auszuweiten.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen befürwortet hingegen Pläne einer schärferen Führungsaufsicht für verurteilte Islamisten, auch mittels Fußfesseln. Doch im Letzten zweifelt auch er daran, dass extrem fanatisierte Menschen dadurch aufgehalten werden können. Er glaube nicht, "dass die Fußfessel wirklich hilft, wenn jemand einen Selbstmordanschlag verüben will", sagte er im Mai. Und auch Hessens Justizministerin muss einräumen, dass auch eine Fußfessel keine absolute Sicherheit leisten könne.
Jemanden wie den Attentäter von Frankreich hätte man mit der nun in Deutschland diskutierten großen Fußfessel ohnehin nicht überwachen dürfen. Adel K. war kein verurteilter Straftäter, sondern nur aus Untersuchungshaft entlassen worden. Für diesen Fall wäre in Deutschland allenfalls die sogenannte kleine Fußfessel in Betracht gekommen, die der Fußfessel in Frankreich entspricht. In Deutschland gibt es sie nur in Hessen, ein machtvolles Instrument ist sie nicht. Mit der kleinen Fußfessel kann nur überprüft werden, ob sich ein Träger zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem vorher festgelegten Ort aufhält - beispielsweise zu Hause oder am Arbeitsplatz. Was der Träger dazwischen macht, kann nicht überprüft werden - so wie bei Adel K.